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Kanton
21.06.2025

Tourismus und der Stadt-Land-Graben

Ländliche Idylle, anonyme Wohnbauten – im Kontrast.
Ländliche Idylle, anonyme Wohnbauten – im Kontrast. Bild: zVg
Im Rahmen einer Studienarbeit wurde der sogenannte «Stadt-Land-Graben» etwas näher unter die Lupe genommen. Anhand von Interviews mit kleinen Bevölkerungsgruppen in zwei Orten im Bündnerland wurde zu der erwähnten Thematik die Sichtweise der ländlichen Bevölkerung in Bezug auf den Tourismus aus der Stadt erfasst und analysiert.

Themen wie Respektlosigkeit, Anpassung, Verteuerung, Verdrängung, Einmischung und Überheblichkeit entsprechen gemäss den Aussagen in den Interviews weitgehend den vorhandenen Vorstellungen eines ländlichen Bewusstseins. Im touristischen Kontext wurden weitere Begriffe wie Romantisierung, Bereicherung, Wertschöpfung, Angebotszuwachs, Eingreifen und Ideenvielfalt aufgezeigt, welche sich neben dem Bewusstsein auch zu bestimmten Formen von Ablehnung entwickeln können. Aus den Gruppengesprächen ergaben sich die erwarteten klaren Wahrnehmungen zwischen Einheimischen und Touristen nicht in erwartetem Mass, was auf eine Brückenfunktion hinweist, welche der Tourismus in Bezug auf den Stadt-Land-Graben einnehmen kann.

Vergleiche zwischen Arosa und Pany

Die Gruppengespräche fanden in zwei Feriendestinationen statt, welche sich nicht nur durch ihre Lage und Grösse unterscheiden. Während in Arosa rund 25 Hotels und weit mehr als 100 Unterkünfte in der Parahotellerie Feriengäste beherbergen, steht im Ort Pany selbst kein Hotel zur Verfügung und bezüglich der Parahotellerie sind weniger als 40 Angebote zu verzeichnen. Und insbesondere im Winter steht in Pany neben Winterwanderwegen und Langlaufloipen zwar ein kleines, schönes, jedoch nur mit einem einzigen Skilift erschlossenes Pistenangebot zur Verfügung. Arosa bietet in Verbindung mit der Lenzerheide mehr als 220 km Skipisten an, erschlossen durch 8 Kabinenbahnen und 35 Skilifte. Die Tourismusintensität dieser beiden Orte unterscheidet sich aufgrund des stark unterschiedlichen Unterkunftsangebots und auch der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor, wo auch der Tourismus hingehört, ist stark unterschiedlich (Arosa: 85%; Pany: 41%). Aus der Befragung der Gruppen geht hervor, dass rund drei Viertel der Gesprächsteilnehmenden angaben, aus dem Tourismus Einkommen zu generieren.

Die Stadt frisst sich in die Natur, Tourismus schafft Ausgleich. Bild: zVg

Wir sind wir

In der Zusammensetzung der vier Gruppen fiel auf, dass die Berufe sehr vielfältig sind und die Hälfte der befragten Personen im Pensionsalter stehen. Die meisten empfinden die Anzahl der Gäste, welche das Dorf besuchen, als gerade richtig. In der Studie wurde festgestellt, dass die Gruppen der Einheimischen ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickeln und eine klare Abgrenzung zu den Touristen sichtbar wird. Die basierte nicht zuletzt auf der Startfrage: «Was macht das Leben hier, in eurem Dorf aus, im Vergleich zur Stadt?» Je nach Saison, mit einem intensiveren Kontakt mit Touristen, kann diese Gemeinschaftsgefühl noch verstärkt werden.

In Bezug zu anderen Studien geht unter dem Aspekt «Verteuerung» ein gewisser Frust der ländlichen Bevölkerung über die Immobilienpreise in ihrer Region hervor. Zudem kommt Unbehagen auf, indem politische Entscheidungen oft auf die Tourismusförderung abzielen und das Wohlergehen der einheimischen Bevölkerung in den Hintergrund tritt. Ein weiterer Aspekt offenbart sich im Bereich der ländlichen Kultur. So spürt man die Forderung der Einheimischen, dass sich die Gäste sich ihren spezifischen regionalen Werten und Lebensstilen anpassen sollten. Sie sehen ihre Kultur in Gefahr, von der urbanen ersetzt zu werden. Zudem wird den Gästen teilweise der Vorwurf gemacht, in Bezug auf die Natur – einem grossen Teil des Kapitals der Tourismusgebiete – zu wenig Verständnis mitzubringen. Die Einheimischen fühlen sich in ihrem Wissen nicht ernst genommen und empfinden die Auswärtigen oft als besserwisserisch und bevormundend.

Versöhnliche Töne

Allerdings ist festzustellen, dass der Tourismus für viele Familien im Bündnerland eine willkommene Einnahmequelle darstellt. Der frühere wohl etwas überspitzte Respekt gegenüber den Gästen hat sich relativiert, man begegnet sich auf Augenhöhe. So folgert die Studie, dass der Tourismus in der kleinräumigen Schweiz in übertragenem Sinn als Brücke zwischen Stadt und Land wahrgenommen wird, was zu einer starken Reduktion von Vorurteilen auf beiden Seiten führt. Dies geht nicht zuletzt aus der kulturellen Betrachtung hervor, wo die «Fremden» sich gefühlt respektlos dem ländlichen Lebensstil gegenüber verhalten, diesen jedoch in ihrer Wahrnehmung romantisieren. Kommt hinzu, dass wenn sich die Gäste den Gastgebern anpassen, sie durchaus als Bereicherung wahrgenommen werden. Eine ähnliche «Symbiose» zeigt sich in Bezug auf die Verdrängung. Hier fühlen sich Einheimische in ihrem Alltag eingeschränkt, profitieren aber durch einen Zuwachs im Angebot; ein Beispiel sei hier die verbesserten Möglichkeiten im öffentlichen Verkehr.

So kommen dann nach den anfänglichen Vorbehalten auch positive, verbindende Aspekte zum Vorschein und münden in dieser Studie in versöhnlichen Tönen.

Peter Müller