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Pflegefamilien, Blick hinter die Kulissen

Familie Schärer mit Sohn Diego.
Familie Schärer mit Sohn Diego. Bild: zVg
In unserer hektischen und sich gesellschaftlich stark verändernden Welt haben nicht alle Kinder und Jugendlichen das Glück, in einem heilen Umfeld aufzuwachsen. Hier übernimmt die «Sozialpädagogische Fachstelle SGH» mit dem Bereich «SoFam Pflegefamilien» eine wichtige Funktion.

P&H hatte die Gelegenheit, mit der Bereichsleiterin Rahel Reinhard und Selina Schärer, welche zusammen mit ihrem Mann Simon Pflegekinder aufnimmt, ein Gespräch zu führen.

Unterschiedliche Möglichkeiten

So unterschiedlich die Bedürfnisse für die Unterbringung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen sind, so vielfältig und situationsgerecht sind die Angebote der Vermittlungsorganisation in Zizers.

Für Notfälle ist eine SOS-Betreuung mit einer Dauer von bis zu drei Monaten gedacht. Daneben werden kurz- bis mittelfristige Betreuungszeiten, mit oder ohne Tagesstruktur, aber auch Langzeitunterbringungen bis zum Abschluss einer Erstausbildung angeboten. Und schliesslich bietet SoFam Wochenend- und Freizeitbetreuungen an.

So kreativ und unterschiedlich die Angebote und Begleitlösungen der Sozialpädagogischen Fachstelle sind, so verschieden sind auch die involvierten Pflegefamilien mit ihren Wünschen und Möglichkeiten.

Wo Pflegefamilien zuhause sind

Im vergangenen Jahr war die Sozialpädagogische Fachstelle Zizers an der Agrischa in Grüsch mit einem Informationsstand und Aktivierungsmöglichkeiten präsent. Dies soll dieses Jahr am 12. und 13. April in Chur nicht anders sein. So liegt die Frage nahe, ob Pflegefamilien aus typisch ländlichen oder bäuerisch geprägten Orten kommen. Dies verneint Rahel Reinhard, wobei sie anfügt, dass diese offene Umgebung natürlich sicherlich besser geeignet sei als eine Mietwohnung in einer grossen Wohnsiedlung mitten in der Stadt, wo oftmals nur ungenügend Wohnraum zur Verfügung steht. Entscheidend sind natürlich die Platzverhältnisse und primär die Bereitschaft einer Familie, für eine kürzere oder längere Zeit eine «fremde Person» in ihrem Familiengefüge aufzunehmen.
Dass SoFam an der Agrischa dabei ist, liegt vor allem daran, dass dies eine optimale Gelegenheit ist, sich zu präsentieren und mit Familien ins Gespräch zu kommen. Rahel meint dazu: «So werden wir sichtbar, können informieren und auch Vorurteile abbauen. Während wir mit den Eltern im Gespräch sind, stehen für die Kinder verschiedene Aktivitäten wie das Glücksrad oder das Gestalten von Geburtstagskarten bereit. Unsere Erfahrungen im letzten Jahr in Grüsch waren sehr positiv.»

Heimelige Atmosphäre. Bild: zVg

Einblick in eine Pflegefamilie

Die Familie von Selina und Simon Schärer aus Mastrils hat sich vor sechs Jahren dazu bereit erklärt, für Notfälle zur Verfügung zu stehen und für kurzfristige Betreuungszeiten bereit zu sein. Obwohl auch einmal zwei Kinder für ganze zwei Jahre bei ihnen Unterschlupf fanden, behagt ihnen das Konzept von kürzeren Betreuungszeiten momentan mehr.

Selina erlebte bereits in ihrem Elternhaus eine sehr offene Atmosphäre, was ihre Bereitschaft für das Engagement bei SoFam beinahe selbstverständlich erscheinen liess. Zudem wurde dieser positive Zugang durch ihre Ausbildung als Sozialpädagogin begünstigt. Ihr Mann Simon, von Beruf Schreiner, bildet mit seinem beruflichen Hintergrund und der nüchterneren Betrachtungsweise einen Kontrapunkt, welcher jedoch bereichernd zum gemeinsamen Familienalltag beiträgt.

Mit der Übernahme für die kurzfristige Betreuung von Kleinkindern wird auch der Blickwinkel etwas verschoben. So meint Selina: «Eigentlich bin ich sehr gerne Mama und entschied mich, Pflegemutter zu sein, ohne ein eigenes Kind zu haben. Dies ist nun seit zwei Jahren anders und eben doch irgendwie nicht anders. Mit der Aufgabe als Pflegemutter werden jedoch die eigenen Werte auf den Prüfstand gestellt und es kann durchaus zu einer Neujustierung führen. Manchmal bedeutet es auch, den alten und bekannten Trampelpfad zu verlassen und bereit zu sein, den Alltag umzukrempeln. Die Übernahme der Verantwortung für ein Pflegekind verändert einen, verstärkt aber auch das eigene Bewusstsein».

Und das eigene Kind? Selina meint, dass dies überhaupt kein Problem sei, da es ja gar nichts anderes kenne und durch seine offene Art und seine Kontaktfreudigkeit Positives dazu beitrage. Vielmehr kommen jeweils leichte Turbulenzen auf, wenn Entscheidungen kurzfristig getroffen werden müssen. Aber dazu ist die Familie Schärer dank ihrer grossen Flexibilität bereit und kann mit diesem dynamischen Umfeld bestens umgehen. Dies auch dank der grossen Unterstützung der Herkunftsfamilie, Freunden, Nachbarn von Familie Schärer sowie der Schule im Dorf. So erlebt sie öfters ein Echo aus dem Umfeld, welches überrascht ist darob, was alles möglich ist.

Die beiden Gesprächspartnerinnen – ganz locker. Bild: P. Müller

Ansprüche und Unterstützung

Allerdings, alleine gelassen wird man als Pflegefamilie nicht. Bereits zu Beginn des Mitwirkens bei SoFam wird eine Familie orientiert und mit der neuen Aufgabe vertraut gemacht. Bei der aktiven Übernahme einer Betreuung erfolgt die Erarbeitung einer gemeinsamen Zielsetzung, welche den verschiedenen Beteiligten gerecht wird. Dabei stehen die Bedürfnisse des Kindes oder Jugendlichen im Vordergrund. Hinzu kommen Wünsche und Vorstellungen der leiblichen Eltern, der Pflegeeltern und der amtlichen Stelle, welche die Einweisung veranlasst.

Zudem unterliegt das ganze Konzept der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien den Regelwerken des Kantons und wird auch dementsprechend überwacht. Das gute Zusammenspiel aller Beteiligten, eingeschlossen sind das Sozialamt des Kantons, Gemeindebehörden, die KESB und die Betreuungsorganisationen, ist zum Wohl der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen enorm wichtig.

Die Werbetrommel wird gerührt

So laufen die Vorbereitungen für die Agrischa 2025 in Chur auf Hochtouren. Einerseits will der Bereich SoFam Pflegefamilien ein weiteres Mal an die Öffentlichkeit treten und über diese anspruchsvolle, aber auch schöne Aufgabe orientieren. Andererseits werden so Situationen sichtbar, welche wir oft aus unserem Bewusstsein und Alltag verdrängen, weil wir heikle Themen nicht gerne an uns herantreten lassen.

Familie Schärer reagiert auf diese gesellschaftliche Not mit Solidari­tät und der Bereitschaft, zu helfen. Sie haben dadurch die Erfahrung gemacht, dass es zum Nachdenken anregt und damit nicht nur Belastendes, sondern auch viele schöne und bereichernde Momente ihren Alltag erfrischen.

Peter Müller