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Maienfeld
16.02.2025

Kriegsreporter aus pazifistischer Motivation heraus

Carl Just mit Lebenspartnerin Christa Stalder und Hund Cliff.
Carl Just mit Lebenspartnerin Christa Stalder und Hund Cliff. Bild: Ch. Imhof
Es gibt wenige Bündner Journalisten, die in ihrem Leben so viele Artikel geschrieben haben wie Carl Just. Die inzwischen pensionierte Reporterlegende war überall auf der Welt, auch an Orten, die von anderen Journalisten lieber gemieden wurden. 25 Jahre lang war er als Kriegsreporter tätig und hat dort Bilder gesehen, die ihn heute noch verfolgen.

Es ist friedlich und ruhig im Haus im Rebhof 2 in Maienfeld. Während draussen vor dem Fenster die ersten zurückgekommenen Vögel ihre Schneisen ziehen, nimmt Carl Just am massiven Holztisch Platz. Er steckt sich eine Zigarette an und beginnt aus seinem bewegten Leben zu erzählen. Seit 2008 sei er pensioniert und geniesse die Ruhe in der Bündner Herrschaft. Während er noch als Reporter tätig gewesen sei, sei er eher selten zuhause gewesen. In gewissen Jahren habe er beispielsweise über sieben Monate im Ausland gearbeitet. 

Die Hochformatkamera und das Lacunagebäude

Zum Journalismus sei er durch einen Irrtum gekommen, sagt der inzwischen 69-Jährige. «In der Kantonsschule in Chur mussten wir eine Klassenarbeit machen. Es ging dabei um die neugebauten Hochhäuser vom Domenig im Rheinquartier.» Er habe sich dann bereit erklärt, die Fotos für die Arbeit zu schiessen. Von seiner Mutter hatte er eine Grossformatkamera erhalten. Mit dieser habe er dann das Lacunagebäude fotografiert. «Das Format 6x9 hat mir wunderschöne Bilder geliefert, doch ich hatte keinen Projektor, um sie zu zeigen.» Gleich neben «Foto Vonow» am Kornplatz befand sich damals die Redaktion vom «Bündner Tagblatt». «Dann bin ich dort in die Redaktion und habe die Bilder gezeigt und der Redaktor Ruedi Henny war ganz begeistert davon und hat damit eine Seite gemacht.» Das Bild, welches unter der Schlagzeile «So sieht die Jugend unsere Stadt» erschien, habe ihm 300 Franken eingebracht, wovon 100 Franken für den Film draufgingen. «So habe ich gesehen, wie man mit dem Journalismus Geld verdienen kann.» Das war 1972. Ein Jahr später hat Carl Just die «Kanti» abgebrochen und sich mit diversen Jobs durchgeschlagen. «Ich hatte relativ viele Fehlstunden, deshalb habe ich dann die Übung abgebrochen.» 

Durch Lawinenbilder nach Zürich

1974 im März begann er dann als Korrektor bei der «Bündner Zeitung», die damals noch nicht den Namen «Südostschweiz» trug. Im selben Jahr absolvierte er zudem von September bis Ende Jahr ein Volontariat bei «Die Tat». Ab 1975 arbeitete der Maienfelder dann als fester ständiger Mitarbeiter beim «Bündner Tagblatt», im Jahr darauf wechselte er zurück zur «Bündner Zeitung», wo er zwei Jahre blieb. Man kann also mit gutem Gewissen behaupten, dass Just sich im Lokaljournalismus die Sporen abverdient hat und er für Grösseres bestimmt war. 1977 stieg er dann als Reporter bei der «Die Tat» ein. Zu dieser sozial-liberalen Schweizer Zeitung kam Just wieder durch einen Zufall. «Es war ein Lawinenniedergang am Lukmanier, bei dem zwei Autos verschüttet wurden. Ich war gerade da, als sie ein Auto ausgegraben haben. Das hatte ich fotografiert und die Bilder an Roger Schawinski verkauft.»

Abenteuer Italien

Die Zeitung, die von 1935 bis 1978 von der Migros herausgegeben wurde, sei defizitär gewesen und eingestampft worden. «Nach dem Streik und den Entlassungen mit kleinen Abfindungen habe ich für mich entschieden, ich gehe nach Rom.» Diese Entscheidung habe er gemeinsam mit seiner damaligen Partnerin, ebenfalls eine Journalistin, gefällt. «Ich konnte relativ gut Italienisch und hatte schon immer eine gewisse Italien-Affinität.» Doch nach der anfänglichen Abenteuerlust sei rasch die Ernüchterung gekommen. «Ich merkte, dass kaum Zeitungen darauf gewartet hatten, dass jetzt der Freelancer Carl Just aus Rom berichtet. Die meisten hatten schon ihre Korrespondenten vor Ort, weshalb ich die Zeit überbrückte und für DHL arbeitete.» So habe er Rom gut kennengelernt und auch rasch Anschluss gefunden bei der lokalen Bevölkerung. Das Leben ohne festes Einkommen änderte sich, als die Zeitung «Kölner Express» ihn anrief und ihm mitteilte, dass sie den deutschen «Spiegel»-Herausgeber Rudolf Augstein in Italien verhaftet hatten, da er ein Tütchen Gras bei sich hatte. Auch wenn das Just-Bild von Augstein mit Zigarette im Mund (Augstein behauptete, er rauche nicht) nach der Haftentlassung nicht publiziert wurde, für den Reporter öffneten sich dadurch einige Türen in Deutschland. So kam es, dass er erstmals für die Illustrierte «Stern» schrieb und auch Anfang der 1980er-Jahre erstmals als Reporter in Krisengebieten im Nahen und Mittleren Osten eingesetzt wurde. 

Carl in Rom, 1979. Bild: zVg

Der Kriegsreporter schlechthin

1982 holte der «Sonntagsblick» Carl Just als Chefreporter. Im Jahr darauf zog es ihn als Auslandreporter zum «Stern» nach Hamburg. Bis 1988 war er weltweit als Kriegsberichterstatter für das Magazin im Einsatz. Dann rief Ringier an und holte ihn als Reporter und Redaktor zur «Schweizer Illustrierten», die damals noch stark auf Reportagen und nicht wie heute auf Stars und Sternchen setzte. Gegen Ende seines Arbeitslebens von 1994 bis 2008 wurde er noch Chefreporter bei «Blick» und «Sonntagsblick». 2002 wurde er mit dem Ringier-Medienpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Bei all seinen Anstellungen hatte die Berichterstattung als Kriegsreporter eine tragende Rolle. Carl Just berichtete nach der Revolution 1979 als einer der wenigen Reporter aus dem Iran. Weiter schrieb er in den 80ern über den iranisch-irakischen Krieg, den beiden Golfkriegen mit US-Beteiligung und die Balkan-Kriege. Ebenfalls berichtete er über die Apartheid in Südafrika und hatte eine für ihn unvergessliche Begegnung mit Nelson Mandela. Im Libanon schrieb er über den Bürgerkrieg und berichtete von beiden Seiten der Front über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Im Herbst 2001 schrieb er vor Ort über den Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan. Diese intensive Arbeit im Auge des Sturms führte dazu, dass Carl Just 2004 sich in psychiatrische Behandlung begab und dann vier Jahre später sein Lebenswerk abschloss.  Wobei ganz abgeschlossen hat Carl Just noch nicht, denn er arbeitet aktuell an einem Sachbuch mit autobiografischen Zügen. 

Carl im Libanon, 1983. Bild: zVg

Eine pazifistische Motivation

Auch heute träumt Just regelmässig noch vom Krieg. Glücklicherweise sei er da immer der noble Retter und nicht einer der Täter. Die Wichtigkeit seiner Arbeit als Berichterstatter aus Krisengebieten habe er nie infrage gestellt. «Ich weiss noch ganz genau, wie wir im besetzten Sarajevo waren und Granaten eingeschlagen haben. Die Leute vor Ort haben sofort die Türen geöffnet und uns reingelassen.» Eine Frau habe ihm dort für seinen Einsatz gedankt. «Denn das Schlimmste, was den Leuten im Krieg passieren kann, ist, dass sie vergessen werden und niemand mehr über sie berichtet. Das hat mich stets motiviert, weiterzuarbeiten.» Die Wahrheit sei das Erste, was im Krieg sterbe. Er habe sich immer bemüht, einen authentischen Blick auf den Krieg den Menschen zu vermitteln, auch wenn er dafür gesundheitlich einen hohen Preis gezahlt habe. Die vielen abscheulichen Bilder von ermordeten Kindern, Tod und Elend hätten sich schon stark in sein Gedächtnis gebrannt. Einfacher werde es mit der Zeit nicht, sagt Just, der über 25 Jahre Kriegsreporter war. «Wer abstumpft, wird zynisch. Das wurde ich nie. Wenn du authentisch berichten möchtest, berührt dich das auch.» Just erinnert sich neben grausamen Kriegssituationen auch an die Hungersnot in Somalia, wo er ein Kind sah, das neben seiner sterbenden Mutter lag. Das sei ihm schon mächtig eingefahren. Er habe sich wegen der Tätigkeit bewusst gegen eine Familie entschieden. «Wenn du Kinder hast, machst du den Job nicht gleich.» Er habe zahlreiche Kollegen gehabt, die im Einsatz erschossen worden seien und auch noch Familie zuhause hatten. Während der Arbeit sei es ihm immer bewusst gewesen, dass es ganz schnell zu Ende gehen könnte. «Das hat nichts mit Abenteuerlust oder mit dem Feuer Spielen zu tun. Es ist humanitäres Engagement. Es geht darum, den Leuten zu zeigen, was in den Gebieten wirklich passiert.» Das bisschen, das im Fernsehen gezeigt werde, berühre die Leute nicht. «Wenn du aber wirklich vor Ort bist und das Risiko auf dich nimmst, dann fahrt das den Leuten auch ein. Es ist eine pazifistische Motivation, die mich angetrieben hat.» 

Ein Planet, zwei Welten

Gar nicht so im Dienst des Friedens war der Serbenführer Radovan Karadži. Über drei Ecken schaffte es Carl Just, ihn doch für ein Interview in einem Auto zu treffen. Dies zu einer Zeit, in der es hiess, dass dieser unauffindbar sei. «Dort habe ich ihn gefragt, wie er als Psychiater es einschätzt, dass der Westen ihn als grössten Kriegsverbrecher aller Zeiten einstuft. Dann hat der mich angeschaut und gesagt, dass sie Jesus Christus auch missverstanden haben.» Neben abscheulichen Bildern, die sich für immer in sein Gedächtnis gebrannt haben, gebe es aber auch Erlebnisse, die er nie vergessen werde, wie die Novembernacht im Jahre 1983, als er, damals 27-Jährig, bei Jassir Arafat zu Gast war. «Dieser hat sich dort verschanzt und wir sind alle zusammengezuckt, als es auf einmal geknallt hat. Der Palästinenserführer begann dann plötzlich laut zu lachen und erwähnte, dass das keine einschlagende Bombe, sondern nur ein Gewitter sei.» Aus den Kriegen zurückzukommen in die Bündner Herrschaft, habe ihn immer mit Dankbarkeit erfüllt. «Es ist ein Geschenk, in einer so friedlichen Gegend leben zu dürfen.» Die Freude an den Menschen habe er nie verloren, auch wenn er in die tiefsten menschlichen Abgründe gesehen habe. «Wenn man sieht, wie viel Leid und Elend der Krieg anrichtet, kann man nur schwer verstehen, wie die Leute hier über Kleinigkeiten jammern können.» Es beschäftigt ihn noch heute, dass wir alle zwar auf dem gleichen Planeten, aber in total unterschiedlichen Welten leben. Er wisse noch gut, wie ich vor vielen Jahren aus Indien berichtet habe, als dort gerade ein Erdbeben das Land erschütterte. Über ein Satellitentelefon habe dann seine damalige Freundin telefoniert. «Während um mich herum immer noch nach Verschütteten gesucht wurde, hat sie mich dann heulend angerufen, weil sie ihr einen Feuilleton-Beitrag von 90 auf 50 Zeilen heruntergekürzt haben.» Man könnte meinen, dass einer, der so viel erlebt hat wie Carl Just, Themen wie Krieg und Politik im Ruhestand eher meidet. Doch dem ist nicht so. «Ich bin nach wie vor ein politisch interessierter Mensch und will wissen, was los ist. Ich behaupte auch, dass ich mir durch meine Erfahrung besser vorstellen kann, was in Kriegsgebieten passiert.» Er habe heute noch ein grosses Netz an Kollegen, mit denen er sich austausche und wo er auch hin und wieder um eine Einschätzung gebeten werde.

Christian Imhof