Die neueste Reihe «REST IN POETRY III», bei dem auch die Bündnerinnen Martina Caluori und Romana Ganzoni lesen und mitspielen, wurde auf den Zürcher Friedhöfen Sihlfeld und Fluntern mit den Autorinnen Anna Stern und Mireille Zindel realisiert. Dieser wird aktuell häufig ausgezeichnet, so wurde der Film im Rahmen des «5th Literature in Cinema Festival» in Buenos Aires als Best Short ausgezeichnet, war Gewinner der «Florence Film Awards» sowie «London Movie Awards» und schaffte es als Semi-Finalist bei den «Tokyo Shorts» und am «Madrid Arthouse Filmfestival» in die Endrunden.
Die Stimmung war sphärisch
Martina Caluori erinnert sich gut an den Moment, als sie für den Film angefragt wurde. Sie habe sich sehr gefreut und habe ohne eine Minute zu überlegen sofort zugesagt. «Michael Stavaric hat mich vorgängig angefragt, ob ich Lust hätte bei RIP III mitzumachen, zu lesen, und auch die Produktionsleitung hier in der Schweiz zu übernehmen.» Das habe Sinn ergeben, da Michael Stavaric in Wien und Tina-Maria Feyrer in Wien und Italien leben. Das spezielle Format habe sie sehr gereizt. «Es handelt sich weder um eine Verfilmung der Lesungen noch um einen Dokumentarfilm, sondern um eine Vereinigung von beidem, also eine filmische Auseinandersetzung mit Text. Zudem passt meine literarische Auseinandersetzung rund um den Tod dazu.» Auf einem Friedhof zu lesen sei schon etwas gewesen, das man nicht jeden Tag erlebe, sagt die Churer Autorin und Lyrikerin. «Die Atmosphäre, die Stimmung, die Tiefe, die Ruhe, die ein Friedhof ausstrahlt, ist per se schon ganz besonders. Der Dreh fand nachts statt, was das Ganze noch viel spezieller gestaltete.» Es sei im alten Krematorium Sihlfeld gelesen worden, was das Ganze zusätzlich einmalig gemacht habe. «Die Stimmung unter uns Autor:innen war sphärisch. In dieser Nacht haben wir etwas geteilt, das bis heute anhält, wir sind ins Diesseits eingetaucht, miteinander, füreinander, was die feine Art von Tina-Maria Feyrer und Michael Stavaric überhaupt erst möglich machte.»
Endlichkeit transzendieren
Auch wenn es von aussen betrachtet leicht aussieht, für die Planung und die Durchführung des Drehs sei viel Zeit notwendig gewesen. Knapp ein Jahr sei sie mit ihnen, Feyrer und Stavaric, im Austausch gewesen. Für das Projekt hat die 39-Jährige bereits bestehende Gedichte aus ihren Werken «Frag den Moment», «Ich weine am liebsten in Klos» sowie «Weisswein zum Frühstück» gelesen, aber auch komplett neues Material generiert. Die intensive Arbeit am Film habe sich ausgezahlt, denn auch heute berühre sie «REST IN POETRY III» und die ganze Filmreihe sehr. «Für mich ist schön zu sehen, was wir alle am Set gespürt und geteilt haben. Die Architektur des alten Krematoriums Sihfeld greift auf die Farb- und Formensprache von Symbolismus und Jugendstil zurück und ist in dieser Hinsicht einzigartig.» Die Nacht stehe dabei für das Unbewusste und für die Welt jenseits der sichtbaren Realität, symbolisiert die Sphäre der Träume und des Todes. «Die Deutung des Vergänglichen im Kontext des symbolistischen Konzepts von den Filmemacher:innen ist eine sehr mystische und poetische, die es schafft, den grausamen und schmerzhaften Aspekt von Tod, Verlust und Endlichkeit zu transzendieren.»
Einladung zur Schwellenüberschreitung
Für Caluori ist klar, dass die Literatur ein probates Mittel der Hoffnung, des Abschieds und der Reflexion ist. «Es war zunächst ein erklärtes Ziel von ‘Rest in Poetry’, ein Leseformat zu begründen, das trotz Pandemie durchgeführt werden kann. Seither wurde es erweitert um den – mit der Sichtung von ‘Rest in Poetry’ – geführten Diskurs über Existenz(en) und den Tod.» Es lasse sich für sie sagen, dass «Rest in Poetry» das Tabu des Todes und der existenziellen Fragestellungen aufbreche, indem es diese Themen nicht nur thematisiere, sondern sie in den Raum literarischer Reflexion stelle. «Das Projekt fordert die Menschen auf, sich diesem schwer fassbaren, oftmals gemiedenen Bereich des Lebens auf eine tiefgründige und behutsame Weise zu nähern, jenseits des alltäglichen Schweigens.» Es lade dazu ein, die Schwelle zwischen Leben und Tod, Abschied und Erinnerung zu überschreiten, und öffne so einen Raum, in dem das Unausgesprochene in Worte gefasst und der existenzielle Dialog auf eine neue, intensivere Ebene gehoben werde.
Literatur verbindet
Dass dank so einem Projekt die Poesie einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wird, erachtet Martina Caluori als elementar. «In dieser Zeit der Polarisierungen und Unsicherheiten aller Art ist eine auf literarischer Ebene geführte Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen und dem Tod unerlässlich – sie stellt einen wichtigen Beitrag zum allgemeinen Diskurs dar.» Die Grundidee biete viel Potenzial. «Literatur und (Friedhofs-)Architektur zusammenzubringen, Lebende und Tote mittels Sprache zueinander in Beziehung zu setzen, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden und einen Diskurs in der Bevölkerung anzuregen, das sind die Zielsetzungen von ‘Rest in Poetry’.» Zum anderen solle dieses Projekt zur Intensivierung des Austausches der einzelnen Akteure im Literaturbereich über die Grenzen hinaus beitragen, wie Caluori ausführt. Dass viele der gesetzten Ziele erreicht werden konnten, zeigt nur schon, dass der neuste Streifen am Laufmeter Auszeichnungen absahnt. Das freut Martina Caluori sehr, vor allem für die Filmemacher:innen. «Es wird einem erst wieder bewusst, wie aufwendig und wie viel Herzblut in Projekte wie diese reingesteckt werden, wenn man da dabei sein kann.» Es sei eine Ehre, dass die eigene Poesie ein Teil des Projekts sein dürfe. Schön sei zudem, dass das Projekt noch lange nicht abgeschlossen ist, sondern weitergeht. «Es macht natürlich auch neugierig, wie der nächste Film wird. ‘RIP VI – MODI DI MORIRE’ wird aktuell in Klagenfurt, Wien und Rom gedreht.»