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Auf dem Weg in den Advent

Bild: Peter Müller
Vor wenigen Wochen trat Judit-Boróka Keil ihre neue Stelle als Pfarrerin in der evangelischen Kirchgemeinde Landquart an – P&H berichtete darüber.

Dieser Umstand und der Blick auf die bevorstehenden besinnlichen Tage von Advent und Weihnachten boten Anlass, um mit der neuen Pfarrerin ein Gespräch zu führen. Dabei ging es um die Motivation, diesen doch recht exponierten Beruf zu ergreifen. Aber auch um ihr Verständnis von Kirche und Glauben.

Theologie – nicht jedermanns Sache
Judit-Boróka Keil ist zusammen mit vier Schwestern und einem Bruder in einer Pfarrfamilie in Siebenbürgen aufgewachsen. Von klein auf war das Leben eng mit der Kirche verbunden, sodass das religiöse und das alltägliche Leben untrennbar ineinandergriffen. In diesem Umfeld waren Begriffe wie «Gott», «Kirche», «Glauben» für sie nicht abstrakt, sondern zutiefst lebendige Worte, die Geborgenheit und Liebe vermittelten. Dafür empfindet sie bis heute grosse Dankbarkeit. In späteren Jahren wandte sie sich zunehmend den existenziellen Fragen zu: dem Grund und Sinn der menschlichen Existenz, der Frage nach Gott und seinem Verhältnis zur Welt und den Menschen. Wie lassen sich unsere oft widersprüchlichen menschlichen Erfahrungen verstehen, dass es einen guten, liebenden und allmächtigen Gott gibt? Besonders die theologische Auseinandersetzung fesselte sie und weckte in ihr den Drang, diesen Fragen den Grund zu gehen.

Die Liebe zur Sprache
Ein Theologiestudium verlangt auch heute noch umfangreiche Sprachkenntnisse – Latein, Hebräisch und Alt-Griechisch sind nach wie vor ein Muss; sie lernte zumindest hebräisch schon sehr früh. Mit einem herzhaften Lachen im Gesicht erzählt sie, dass sie ihren Vater in ihrer Jugendzeit fragte, ihr die hebräischen Schriftzeichen beizubringen. So konnte sie ihre Erlebnisse und Gedanken in ihrem Tagebuch festhalten, ohne dass die jüngeren Schwestern dies hätten lesen können. Das war ihre «Geheimsprache». Heute kommen ihr diese Kenntnisse, sie, welche Sprachen ganz allgemein liebt, sehr gelegen. Noch immer liest sie für die Predigtvorbereitung gerne Texte in der Originalsprache, da sich dadurch ganz neue Perspektiven eröffnen und der oft «fremde» Text plötzlich verständlicher wird. Ihre Liebe zur Sprache kommt auch beim Interview immer wieder zum Tragen, sie wählt ihre Worte sehr gezielt.

Die Arbeit im Team
Bevor die Pfarrerin ihre Arbeit in Landquart aufnahm, versah sie ihren Dienst in der appenzellischen Gemeinde Grub-Eggersriet. Dort war sie im Einzelpfarramt tätig; sie bezeichnet sich jedoch als Team-Playerin. In Landquart besteht ein Team, was es ermöglicht, dass die einzelnen Personen ihre Aufgaben entsprechend ihren Begabungen und Interessen wahrnehmen können. Besonders ansprechend war für sie die Möglichkeit, die Kinder- und Familienarbeit zu übernehmen. So beschäftigt sie sich zunehmend mit der Zukunft der Kirche und der Frage, wie man Kirche gestalten kann, dass auch künftige Generationen Resonanz finden. Für sie soll die Kirche nicht nur ein Ort der Ruhe und Kraft sein, sondern ein «beweglicher Ort», wo Menschen in Bewegung sind, aufeinander zugehen, sich willkommen fühlen und, ja, auch wieder aufbrechen dürfen.

Kirche als Institution
Heutzutage wenden sich viele Menschen von der Institution Kirche ab. Judit-Boróka Keil betont jedoch, dass eine klare Organisationsstruktur notwendig ist. Gleichzeitig anerkennt sie, dass der Glaube eine zutiefst intime, private Angelegenheit ist. Dennoch trägt der christliche Glaube den zentralen Gedanken in sich, Gott in den Nächsten zu lieben. Es handle sich dabei nicht um eine abstrakte Liebe, sondern um Liebe, die sich im Umgang mit den Mitmenschen zeigt. Darum schätzt sie den verbindenden Charakter des Glaubens: er führt Menschen zueinander. Hier liege die Chance und die grosse Herausforderung der Kirche, als Glaubensgemeinschaft eine Basis anzubieten in welcher alle Menschen erfahren, unabhängig von Herkunft, Prägung, sozialem Status, Hautfarbe oder Orientierung, gesehen zu werden und willkommen zu sein. Ganz wichtig sei, dass den Worten auch Taten folgen, als Beistand in einem schwierigen Lebensabschnitt, durch konkrete Unterstützung in einer Not oder einfach durch ein offenes Ohr – füreinander da sein.

Advent und Weihnachten- besondere Tage
Im Blick auf die kommenden Tage im kirchlichen Kalender schaut die Pfarrerin auf die Krippenfiguren, welche sich im Büro befinden. Sie liebt diese Zeit, trotz aller Hektik der Adventszeit, trotz der finsteren Situationen in der Welt, wo Kriege und Hungersnöte für viele Menschen belastend sind. Denn es war damals auch finster, und gerade die Hirten, die Armen und Unterdrückten, wurden zum Leben ermutigt. Weihnachten sei keine nostalgische Geschichte, sondern eine Mut-Mach-Geschichte – eine Geschichte für unschöne Zeiten.

Sie liebt diese Zeit, weil sie eine Einladung ist, auf das Wesentliche zu achten. Menschen versuchten bewusster nett und liebevoll zueinander zu sein. Sie scheitern oft, lassen sich nicht entmutigen und versuchen es jedes Jahr wieder. Genau das sei das Schöne daran: es wecke Hoffnung und Mut, Gesten der Liebe und des Friedens zu tun. Denn da wirke eine Kraft, eine Macht mitten unter uns. Gott ist der Welt nahegekommen und will unter uns wohnen. Auf die Frage, was sie sich für diese Zeit wünscht, sagt sie abschliessend: nebst aller Sorgen um die Welt wünsche ich mir, dass sich auch Freude ausbreitet. Kleine Gesten, die grosse Freude bewirken.

Peter Müller