Home Region Schweiz/Ausland Sport Agenda Magazin
Freizeit
30.06.2024

Gibt es Objektivität überhaupt?

Bild: Emilia Schwarz
In den letzten Wochen habe ich mehrere Situationen erlebet, in denen zwei verschiedene Menschen die gleiche Situation total anders erlebt haben. Das ein oder andere Mal war ich selbst beteiligt und konnte im ersten Moment überhaupt nicht verstehen, wie das Gegenüber eine so andere Wahrnehmung haben konnte. Durch Gespräche konnte ich herausfinden, wie die andere Person zu ihrer Einschätzung der Situation gekommen ist und habe versucht, meine eigene Ansicht möglichst zu ignorieren. Plötzlich, konnte ich mich in mein Gegenüber hineinversetzen und habe gemerkt, dass auch dessen Ansicht eine mögliche Wahrheit sein könnte. Da ist mir mal wieder aufgefallen, wie unterschiedlich wir Menschen die Dinge wahrnehmen und habe die Objektivität – die viele behaupten zu beherrschen – in Frage gestellt.

Jeder Mensch tickt anders
Jeder Mensch bringt ganz unterschiedliche Geschichten und Erfahrungen mit sich. Jede Person reagiert zudem anders auf unterschiedliche Situationen. Manchmal bringen wir auch ganz unbewusst Vorurteile mit, die wir aus vergangenen Erlebnissen mitgenommen haben. Verhindern lässt sich das meiner Meinung nach nur schwer, doch sobald man sich diesen Vorurteilen bewusst wird, wirken sie schon weniger stark. Ich hatte es beispielsweise früher mit gewissen Mädchen nicht so gut. Wenn ich heute Menschen treffe, die mich an diese Mädchen erinnern, merke ich automatisch so eine leichte Abneigung in mir. Vielleicht ist Abneigung ein bisschen zu negativ formuliert, sagen wir eine gewisse Vorsicht. Ich weiss, dass dieses Gefühl automatisch hochkommt und dieses Wissen erleichtert es mir, mich trotzdem auf diese Menschen einzulassen. Sie selbst haben mir ja nichts gemacht, es wäre unfair sie aufgrund von früheren Erlebnissen, die nichts mit ihnen zu tun haben, zu verurteilen.

Objektivität – ein unerreichbares Ziel
Meiner Meinung nach ist es fast unmöglich, dass ein Mensch eine Situation komplett objektiv betrachten kann. Dafür müsste er sich selbst aus der Situation herausnehmen. Das ist gar nicht möglich. Selbst wenn man bei einem Streit nicht dabei war und sich die Situation nur anhört oder von der Ferne beobachtet, kann man nie alle Details erfassen, die eine objektive Meinung verlangt. Nicht umsonst sagt man in der Quantenphysik: «Der Beobachter wird Teil der Beobachtung».
Für mich ist Subjektivität auch nichts schlimmes, im Gegenteil es ist ja menschlich. Man sollte sich meiner Meinung nach einfach bewusst sein, dass jeder Mensch subjektiv handelt, auch wenn er es vielleicht nicht gerne hört. Mit diesem Wissen versteht man das Gegenüber auch besser. Wenn man sich bewusst ist, dass zwei verschiedene Parteien beide eine andere Wahrnehmung haben, muss man sich nicht mehr um die eine Wahrheit streiten. Man kann versuchen beide «Wahrheiten» zu akzeptieren und zusammen eine Lösung finden. Das Eingestehen der Subjektivität könnte meiner Ansicht nach also durchaus zu weniger Streit führen.

Keine Rechtfertigung für Kriminalität
Ich möchte hiermit keine Verbrechen legitimieren, mit der Begründung alles sei subjektiv. «Das Opfer hat sich nicht gewehrt, meinem Eindruck nach hat sie nicht deutlich genug gesagt, dass sie das nicht möchte». Solche Aussagen sind nicht Ziel meines Artikels. Gerade beim Gericht muss man natürlich versuchen, eine möglichst objektive Wahrheit zu finden, um den Opfern gerecht zu werden. Mir geht es hier eher um die kleinen Situationen im Alltag, bei denen zwei Menschen sich um die vermeintlich einzige Wahrheit streiten, die es in diesem Moment gar nicht gibt.

Emilia Schwarz