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«Tanzen ist mein Leben»

Bild: Andrea Camen
Tänzerin Corinne Kälin wurde vom Kanton Graubünden unlängst mit einem Anerkennungspreis in der Höhe von 20000 Franken ausgezeichnet. Da sie am Volkstheater Rostock engagiert ist, wird sie an der Preisverleihung Ende Mai in Trun wahrscheinlich nur per Videobotschaft präsent sein. Denn der gedrängte Zeitplan ihrer Auftritte mit dem Rostocker Ensemble lässt einen Abstecher nach Graubünden aus dem Norden Deutschlands nicht zu.

«Als ich von der Vergabe des Preises erfahren habe, war ich mega überrascht», sagt die 23-jährige Grüscherin. «Es freut mich sehr, dass mein Potenzial in Graubünden wahrgenommen wird.» Wie wird sie das Preisgeld verwenden? «Da ich eher ein «Sparfuchs» bin, werde ich es vorerst aufheben. Ich kann mir aber gut vorstellen, es bei Gelegenheit in ein eigenes Tanzprojekt zu investieren.» Kälin tanzt fürs Leben gern. Und es ist momentan quasi ihr Leben. Angefangen hat sie als Mädchen ursprünglich mit Wettkämpfen in der Rhythmischen Sportgymnastik. Offenbar eine gute Basis für die darauffolgende Karriere als Tänzerin. «Zu meinen Stärken zählt sicher, dass ich mich gut fokussieren kann, schnell lerne und über ziemlich viel Power verfüge.» Das bringt die Tänzerinnen und Tänzer des Rostocker Ensembles hin und wieder an ihre Grenzen. Wenn Kälin als Leaderin in der Tanztruppe aktiv wird, geht ihr das Erarbeiten eines Stückes zwischendurch zu langsam. «Geduld zählt nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen.» Wenn sie im kreativen Prozess gedanklich jeweils vorauseilt, kann sich dies bei der Arbeit im Training entsprechend auswirken. Doch Kälin schwärmt von ihrer Truppe. «Wir sind wie eine grosse Familie. Und das ist in der Tanz-Szene überhaupt nicht selbstverständlich.» Das neunköpfige Multi-Kulti-Ensemble besteht aus Protagonisten aus Israel, Venezuela, Japan, Spanien, Deutschland, Italien und natürlich der Schweiz. Fast logisch, dass man sich auf Englisch austauscht. Kein Problem für Kälin, schliesslich absolvierte sie während der Mittelschulzeit ein Austauschjahr in Neuseeland.

Von den Bergen ans Meer
Auch wenn die Prättigauerin ihre Familie und Freundinnen und Freunde in der Schweiz gerne öfters treffen würde, von Heimweh geplagt wird sie in Norddeutschland nicht. «Vor allem während der Sommermonate fühlt es sich in Rostock wie in den Ferien an. Dann lebt die Stadt richtiggehend auf, in den Strassen ist viel Betrieb. Und cool ist auch, dass man in einer Viertelstunde am Meer ist.» Aber Kälin weilt ja nicht als Feriengast in der pittoresken Stadt mit rund 200000 Einwohnern. Als Ensemblemitglied mit Festanstellung am Volkstheater Rostock ist sie gefordert. Denn Tanzen ist Spitzensport. «Ich bin dankbar, dass ich meine Passion als Beruf ausleben darf.» Schon in jungen Jahren hatte sie alles auf die Karte Tanz gesetzt. In Zürich absolvierte sie während drei Jahren (als 18- bis 21-Jährige) die Ausbildung im Tanzwerk 101. Ihre kreative Ader lebt sie in der Freizeit auch gerne beim Backen oder Skateboarden aus. Wie sieht der Arbeitsalltag einer Tänzerin aus? «Am Morgen von 10 bis 11.15 Uhr erfolgt das Warm-up, meist Ballet oder Contemporary, manchmal auch mit Yoga. Es geht darum Körper und Geist gleichsam auf die Probenarbeit vorzubereiten. Derzeit arbeiten wir an «Momo» von Michael Ende. Am 18. Mai haben wir Première», so Kälin. Nach dem Warm-up wird bis 14 Uhr an der Choreografie gearbeitet. Nach kurzer Pause geht die Arbeit weiter bis 17 Uhr. Logisch spielen bei der körperlich anspruchsvollen Tätigkeit Elemente wie Erholung und Ernährung eine wichtige Rolle. «Meistens verbringen wir die Freizeit gemeinsam. Wir kochen beispielsweise gemeinsam. Unser Teamgeist ist einzigartig.» Kälin und auch andere des Ensembles ernähren sich vegan. «Seit ich die Ernährung vor rund zwei Jahren umgestellt habe, verfüge ich sogar über noch mehr Energie auf konstant hohem Niveau.»

Von Rostock nach Paris
Auch wenn sich Kälin derzeit voll und ganz auf die Projekte in Rostock konzentriert, könnte sie sich vorstellen später mal in einer Compagnie in Amsterdam oder St. Gallen zu tanzen. Und wenn sie irgendwann den Schwerpunkt vom Tanzen aufs Choreografieren verlegen wird, würde sie gerne in der Ostschweiz tätig werden. «Es liegt mir am Herzen, etwas zurückgeben zu können.» Als Mitgründerin der «Dance Company ONE» kann sie schon heute als Choreografin eigene Tanzstücke entwickeln und erste Erfahrungen sammeln.
Zwar wird Corinne Kälin – wie gesagt -aus terminlichen Gründen den Anerkennungspreis des Kantons Graubünden Ende Mai nicht persönlich entgegennehmen können. Aber an den Olympischen Spielen im Sommer in Paris wird sie bestimmt als Zuschauerin zugegen sein. «Den Wettkampf meiner älteren Schwester Annik im Siebenkampf werde ich mir nicht entgehen lassen. Die Tickets habe ich bereits», so Corinne. Aber bis dahin werden beide noch viele Trainings mit Leidenschaft in Angriff nehmen.

Ernesto Felix