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Jenins
09.05.2024
07.05.2024 08:00 Uhr

«Trauer ist die Lösung und nicht das Problem»

Bild: zVg
Armanda S. Rutz ist gelernte Floristin und Sterbe-, Verlust- und Trauerbegleiterin. Ihr Atelier, welches sie in ihrem Elternhaus im Dorfkern von Jenins eingerichtet hat, lädt zum Verweilen ein und man spürt bei Betreten der Lokalität, dass ihr die Menschen besonders am Herz liegen. Es sei wichtig, das Tabu Trauer zu brechen und den Leuten auch wieder Zeit und Raum dafür einzuräumen.

Wenn man in den Medien vom Thema Trauer und Depression liest, ist es meist schon Herbst und dunkle Wolken legen sich nicht nur über Feld und Wälder, sondern auch über die Seelen der Menschen. Armanda S. Rutz ist froh, dass auch mal ein Bericht über das Abschiednehmen im Frühling den Weg in die Zeitung findet, denn auch wenn momentan die Blumen blühen und die Temperaturen steigen, heisst dies nicht, dass die Trauer komplett verschwunden ist. «Trauer ist die Lösung und nicht das Problem und vor allem ist Trauer keine Krankheit. Die menschliche Seele hat eine Art Programm entwickelt, um das eigene Weiterleben zu ermöglichen – und dies ist dann eben der Trauerprozess.»

Die wichtigen Erinnerungen bleiben
Vor allem bestünden Trauerprozesse aus Erinnerungen. «Das menschliche Überlebensprogramm nach dem Tod von anderen Menschen ruft die vielen Erinnerungen den Verstorbenen ins Gedächtnis und sortiert sie nach ihrer bleibenden Bedeutung. Irgendwann ist klar, welche die wichtigsten und stimmigsten Bilder sind.» Der Trauerprozess endet laut Armanda S. Rutz nicht mit dem Vergessen oder mit dem immer wieder gehörten «du muasch losloh» sondern mit leichterem Gepäck in Form von allerlei schönen Erinnerungen. «Der Vergleich mit einem Mobile nutze ich auch immer wieder sehr gerne. Ich versuche in meiner Arbeit als Verlust und Trauerbegleiterin, den Trauernden den Trauerprozess so gut wie möglich auch bildlich zu zeigen. Sowie ich auch mit dem Kaleidoskop des Trauerns von Chris Paul arbeite.» Auch wenn das Thema Trauer bei vielen Menschen sofort mit dem Tod eines geliebten Menschen oder eines Tieres in Verbindung bringen, sagt Armanda, dass das Thema deutlich vielschichtiger sei. «Genauso grosse Trauerreaktionen können bei einer Scheidung, Liebeskummer, einem Hausbrand, verlorengegangener Gegenstände, die eine grosse persönliche Bedeutung haben, der Auszug der Kinder etc. auftreten.»

«Gäll, du losch mi nit allei?»

Eine gewisse Affinität zum Thema Tod hat Armanda Rutz von ihrer Grossmutter mit auf den Weg geschenkt erhalten. Auch wenn das Umfeld im Moment des Sterbens und Todes eine sehr grosse Unsicherheit ausstrahlte, spürte Armanda eine grosse Dankbarkeit für die schönen Momente mit ihr und verstand, welche Gabe ihr «Nani» ihr da mit auf den Weg gegeben hat. «So begann mein Weg zur Sterbe-, Verlust- und Trauerbegleiterin und ich liess das wie schon oben genannte Geschenk meiner Grossmutter, aufblühen. Sie motivierte mich immer dazu, meine Gabe zu teilen und besonders ihre letzten Worte ‘Gäll, du losch mi nit allei?’ sind mir heute noch im Ohr.» Während bei einer Geburt meist viele Leute dabei sind, sei es leider viel zu oft so, dass am Ende des Lebens der Mensch alleine sei, was für sie unverständlich sei. «Uns fehlt eine Kultur des Sterbens. So wie uns auch eine Kultur des Trauerns fehlt. Der Tod ist uns fremd geworden, er liegt einfach zu ausserhalb unseres Erfahrungshorizontes, dass jeder mehr oder weniger auf sich selbst gestellt ist sich mit dem Umgang Sterben, Tod, Verlust und Trauer auseinander zu setzten. Bei diesem Vorhaben ist jeder auf sich selbst gestellt, leider schieben dies die meisten lieber auf die Seite oder verdrängen es lieber in die hinterste Ecke. So vom im Sinne das hat noch genügend Zeit, ich bin ja noch fit und gut im Schuss, etc.»

Das rätselhafte Mysterium
Um dies zu ändern hat Armanda S. Rutz seit 2019 noch intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt und eine Ausbildung zur Trauer-/Sterbebegleiterin absolviert. Dort habe sie nach Antworten auf ihre Fragen gesucht, was ist Trauer oder wie man beispielsweise die verbleibende gemeinsame Zeit nutzen könne, wenn ein geliebter Mensch unheilbar krank ist oder was man in den schwersten Stunden für sie oder ihn tun könne. Trotz der intensiven Beschäftigung mit dem Thema, alle Fragen werden wohl nie beantwortet, denn zurück gekommen sei noch keiner. «Der Tod stellt eines der rätselhaftesten Mysterien der Menschheit dar. Dass ein Mensch einfach nicht mehr existiert, übersteigert unsere intellektuelle Vorstellungskraft. Erst recht sind wir emotional überfordert, uns mit der radikalen Unabänderlichkeit der Situation abzufinden. Wo ist diese Person, die eben noch durch die Tür gegangen ist, die eben noch mit mir gesprochen hat, wie soll ich ohne sie weiterleben? Und jetzt? Wie soll man sich dem Tod stellen? Sei es als Sterbender oder als Angehöriger.»

Begleiten mit Herz
Das Begleiten ist Armanda wichtig. Es sei, ein Seite an Seite gehen auf Augenhöhe. «Trauern ist wie ein Marathon. Der Trauernde ist der Marathonläufer und ich dessen Begleiter. Trauernde wollen nicht belehrt werden und sie brauchen auch keine stetigen Ermutigungen. Was Trauernde brauchen, ist ein offenes Ohr, sie brauchen, dass Ihnen zugehört wird und nicht Sätze wie: ‘Das wird schon wieder.’ ‘Irgendwann weisst du, wozu es gut war.’ ‘Er/ Sie war ja schon alt.’ ‘Du bist ja noch jung.’ etc. Oder man solle stark sein hören.» Auch wenn die Floristik und das Trauern thematisch nahe beieinander liegen, reich wird Armanda mit ihrem stimmigen Angebot nicht. Doch um das gehe es auch nicht. Sterbebegleitungen empfindet sie als eine ehrenvolle Aufgabe. Dank den Blumen funktioniere es auch finanziell und sie könne dadurch auch weiterhin mit viel Herzblut Trauernde und Sterbende begleiten. Um dieses Fehlverhältnis gerade zu rücken, brauche es viel Aufklärung und Verständnis. «Trauernde sprechen häufig davon, dass sie sich wie in Watte gepackt fühlen’. Ich versuche dann zu erklären, dass dies eine Schutzhülle sei, eine natürliche Reaktion, der Schock, der eine schützende Funktion hat. In dies Schutzhülle wird die Vielfalt der Ereignisse ausgeblendet und nur ausgewählte Reize und Eindrücke kommen an. Das ermöglicht eine gewisse innere Ruhe, ohne die man sonst verrückt würde. Innerhalb dieser Schutzhülle spürt man sich nur unvollständig: Hunger, Durst, Frieren, Müdigkeit und sogar körperliche Schmerzen werden nicht wirklich wahrgenommen.» Das Trauern sei ein wichtiger Prozess, den man nicht verhindern, verneinen oder vermeiden solle. «Trauernde haben einen Menschen verloren, nicht den Verstand. Trauer ist keine Krankheit, sondern eine Lebenswichtige Reaktion.» Mehr Informationen zu Armanda Rutz und ihrer Tätigkeit als Trauerbegleiterin finden Sie unter www.gaessli5.ch.

Christian Imhof