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Schweiz
03.12.2023

Der Tropfen im Ozean der Armut

Aktuell unterstützt die St. Josef Schule in Kalkutta 228 Kinder und deren Familien. Mehrere tausend Kinder erhielten seit der Gründung vor 27 Jahren dank des privaten Hilfsprojektes die Möglichkeit, in unterschiedlichen Schulfächern unterrichtet zu werden.
Aktuell unterstützt die St. Josef Schule in Kalkutta 228 Kinder und deren Familien. Mehrere tausend Kinder erhielten seit der Gründung vor 27 Jahren dank des privaten Hilfsprojektes die Möglichkeit, in unterschiedlichen Schulfächern unterrichtet zu werden. Bild: zVg.
Marcus Pohl leistete vor rund 30 Jahren bei Mutter Teresa in Kalkutta humanitäre Hilfe. Das gesehene Elend in den Slums liess ihn nicht mehr los. Seit 27 Jahren unterstützt er mit seinem privaten Hilfsprojekt bedürftige Kinder und deren Familien.

Der 51-jährige Marcus Pohl ist verheiratet und glücklicher Vater von fünf Kindern. Beruflich ist er seit über 23 Jahren im Kanton Schaffhausen in der Pflege tätig und derzeit Geschäftsleiter in der Betreuung und Pflege beim Kompetenzzentrum für Lebensqualität Schönbühl in Schaffhausen. Damit, so könnte man meinen, sollte Marcus Pohl gut ausgelastet sein. Doch seit über 27 Jahren widmet er sich hingebungsvoll seinem Herzensprojekt: dem ehrenamtlichen und karitativen Dienst. Mit seinem privaten Hilfsprojekt unterstützt er mit Leib und Seele Familien in den Slums von Kalkutta. Er bezeichnet seine Arbeit als einen Tropfen im Ozean der Armut. Bei Mutter Teresa arbeitete er von 1995 bis 1997 während eines 15-monatigen Dienstes in einem Sterbehaus und einer Leprastation. Kalkutta sollte sein zweites Zuhause werden. Mittlerweile war er 34-mal dort.

Desaströse Zustände

Marcus Pohl erzählt, dass der Dienst für die Ärmsten der Armen, seit er denken kann, ein wichtiges Anliegen für ihn ist. Während seines Dienstes in Kalkutta kam er 1996 mit der ausgebildeten Lehrerin Veronica Jose in Kontakt, welche mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in einem Slum von Kalkutta lebte. Mit der grossen Gemeinsamkeit, der ehrenamtlichen Hilfe für Bedürftige vor Ort, gründeten Veronica Jose und Marcus Pohl noch im selben Jahr die St. Josef Schule. Diese Schule liegt in einem der grössten Slumgebiete in Kalkutta, in Howrah-Pilkhana. Dort sollen mehr als 100 000 Menschen in völlig menschenunwürdigen Slumhütten leben. «Auf 100 Menschen kommt vielfach nur eine Toilette und ein Wasserhahn. Über die offene Kanalisation kommen insbesondere während der Monsun-Monate zudem Exkremente, tote Tiere und Ratten in die ohnehin schon armseligen Hütten», erzählt Marcus Pohl. Sechs bis zehn Personen teilen sich eine solche Hütte, die zwischen acht und zwölf Quadratmeter klein ist. 

Die St. Josef Schule bietet aktuell 228 Kindern aus den Slums von Kalkutta von Montag bis Freitag die Möglichkeit einer kostenlosen Schulbildung und einer warmen Mahlzeit. Bild: zVg.

Kinderarbeit ist Alltag

Die St. Josef Schule bietet bedürftigen Kindern die Möglichkeit einer schulischen Grundausbildung. Alle Kinder, welche diese Schule besuchen, leben in den Slums. Unterrichtet werden sie jeweils von Montag bis Freitag in Lesen, Rechnen, Schreiben, Hindi, Bengali, Englisch und in Hygiene. «Der Schulweg ist der kürzeste und sicherste Weg aus der Armut heraus», ist sich Marcus Pohl sicher. Arme Familien hätten in Kalkutta aus zweierlei Hinsicht keine Chance, ihren Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Einerseits können sie sich die Schulkosten nicht leisten. Andererseits würde mit dem Schulbesuch eines Kindes eine Einnahmequelle für die Familie wegfallen. Denn Kinderarbeit ist in den Slums von Kalkutta keine Ausnahme. Damit die Sprösslinge die kostenlose St. Josef Schule besuchen können, müssen also deren Familien auch unterstützt werden. Die Kinder kommen bestenfalls nach der Primar- und Sekundarschule in weiterführende Schulen. Die medizinische Grundversorgung der Schüler:innen und deren Familien ist eine weitere Aufgabe der Organisation. Finanziert wird alles durch Spenden.

Bundesverdienstkreuz

Die Kinder erhalten an den Schultagen eine warme und vollwertige Mahlzeit. «Mittlerweile fördern wir 228 Familien mit Nahrungsrationen. Von dieser Hilfe profitieren über 1000 Menschen.» Marcus Pohl erzählt, dass alle Familien jeden zweiten Dienstag einen «Esskorb» erhalten. Dieser sei mit drei bis fünf Kilogramm Reis, etwa einem Kilogramm Linsen, drei bis fünf Eiern, einem bis zwei Kilogramm Kartoffeln und manchmal auch Waschseife und Öl zum Kochen gefüllt. Für diese Hilfe werden im Jahr rund 25 Tonnen Reis, 3 Tonnen Linsen, fünf Tonnen Kartoffeln, 36 000 Eier, etwa 1000 Kilogramm Waschseife zum Wäschewaschen und mehrere 100 Liter Öl benötigt. 

Der in Deutschland lebende Marcus Pohl erhielt im März 2019 für seinen langjährigen ehrenamtlichen Einsatz für die St. Josef Schule in Kalkutta das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Verdienstorden wird für besondere Leistungen in verschiedenen Gebieten, unter anderem für ehrenamtliche Tätigkeiten im karitativen Bereich, verliehen. Es handelt sich dabei um die höchste Anerkennung. 

Der eigentliche Beschenkte

Das private Hilfsprojekt wird vollumfänglich durch Spenden finanziert. Die Kosten für Bildung, Mahlzeiten, Material und die medizinische Versorgung betragen rund 20 Franken pro Kind und Monat.

Verwaltungskosten fallen keine an, denn Ausgaben wie beispielsweise Flüge, Post- und Telefongebühren finanziert Familie Pohl privat. Marcus Pohl berichtet, dass seine bisherigen privaten Auslagen im sechsstelligen Bereich liegen. Er sehe dies allerdings ganz und gar nicht als Auslage: «Ich bin der eigentliche Beschenkte. Wenn ich Kindern helfen und ihnen eine Perspektive bieten kann, ist das Balsam für meine Seele.» Er ergänzt: «Auch nach 27 Jahren bin ich nicht müde, um mich für diese Kinder und deren Familien einzusetzen. Solange ich kann, mache ich weiter». 

Spannen zusammen: Markus Hempel und Marcus Pohl (v.l.) kurz vor Beginn der Benefizveranstaltung am vergangenen Sonntag in der Alten Rheinmühle. Bild: Gabriella Coronelli, Schaffhausen24

Gelungene Spendensammlung

Eine Spendensammelaktion fand vergangenen Sonntag in der Alten Rheinmühle in Büsingen statt. Die aus Schaffhausen und Umgebung geladenen 70 Gäste erhielten während des indisch angehauchten fünf-Gang-Menus Einblicke in die neusten Entwicklungen zum Projekt. Eine Onlineschaltung nach Kalkutta ermöglichte den Anwesenden, sich selbst ein Bild davon zu machen, wohin die rund 33 000 Franken, die an diesem Abend zusammenkamen, fliessen. 

Die Einnahmen durch das servierte Abendessen werden vollumfänglich gespendet. «Wir verzichten gänzlich auf die Deckung irgendwelcher Kosten an diesem Abend. Alles fliesst komplett in das Projekt», so Markus Hempel, Inhaber der Alten Rheinmühle in Büsingen. Pro Person kostete das Menu 220 Franken. «Viele der Gäste haben den Betrag grosszügig aufgerundet», verrät er weiter. Marcus Pohl ergänzt: «Und am Abend auch die Möglichkeit des ‹stillen› Spendens genützt.» Das Küchen- und Servicepersonal verzichtete an diesem Abend freiwillig auf den Lohn und spendete zudem das eingenommene Trinkgeld. Bereits vor Markus Hempels Zeit fand die Benefizveranstaltung im traditionsreichen Restaurant in Büsingen statt. «Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, dieses grossartige Projekt weiterhin zu unterstützen. Das Geld für Kalkutta wird dringend benötigt», so der 37-jährige Chef der Alten Rheinmühle. 

Weitergehende Informationen sind unter foerdderverein-calcutta.ch oder

calcutta-schule.de abrufbar.

Gabriella Coronelli, Schaffhausen24