Was ist deine erste Erinnerung an das Tanzen?
Meine Mama, Tanja Kälin, brachte mich als ich 6 Jahre alt wurde in eine Schnupperlektion der rhythmischen Gymnastik in Chur. Zuhause übte ich stets akrobatische Elemente wie den Spagat, Rädli, Brücke, etc. Diese feminine Sportart fordert Beweglichkeit, Akrobatik, Kraft, Koordination und Balance. Von Anfang an war ich fasziniert von den graziösen Bewegungen ausgeführt zu Musik mit fünf verschiedenen Handgeräten (Ball, Seil, Reif, Keulen, Band). Zehn Jahre lang übte ich diese Sportart aus, qualifizierte mich jedes Jahr im Einzel für die Schweizermeisterschaften und holte mit meiner Gruppe zwei Mal den Schweizermeister Titel. Vor allem fordert diese Sportart aber viel Zeit. Wöchentliches Training mit 18 Stunden gehörten zu meinem Leben für fast 10 Jahre. Danach entschied ich mich vor allem aus zeitlichen Gründen in die Kunstform des Tanzens überzugehen. Zu dieser Zeit begann ich dann für ein Jahr mit meiner Schwester in der Leichtathletik bei unserem Vater zu trainieren. Mein Gebiet war vor allem das Speerwerfen, wo ich dann bei den Schweizermeisterschaften der U16 die Goldmedaille holte.
Wann hast du erstmals gemerkt, dass du das auch beruflich machen möchtest?
Bei der Tanzschule Tanzerina in Chur begann ich mit Jazz, Modern und Ballett. Mit den Tanzerinas nahmen wir am «Como Lake Dance Award» teil. Nach Hause ging ich mit zwei Preisen: Dem Sommer intensiv Programm an der angesehenen Schule in New York, Alvin Ailey, sowie eine einjährige Musicalschule in London. Den zweiten Preis konnte ich leider nicht einlösen, da ich schon ein Austauschjahr in Neuseeland geplant hatte. Die zwei Monate in New York gaben mir die Möglichkeit, intensiv an meinen Tanzkünsten zu arbeiten und liessen mich in professionelle Tanzwelt blicken. Nach New York war für mich klar: Ich möchte Tanzen zu meinem Beruf machen.
Was löst das Tanzen heute noch in dir aus?
Wenn ich tanze, fühle ich mich frei und unbeschwert. Das Kreieren und Tanzen gibt mir Raum mich künstlerisch auszudrücken, Gedanken zu verarbeiten und lässt mich vergessen. Es fordert mich täglich aus meiner «Comfort-zone» wodurch ich wachsen kann. Durch die Auseinandersetzung mit meinem Wesen, meinem Körper und Geist lerne ich viel über mich selbst.
Was ist dein Lieblingstanzstil?
Jede Künstler:in entwickelt eine eigene Tanzsprache, welche oft beeinflusst ist von vielen Tanzstilen. Ich persönlich kombiniere gerne Elemente von Contemporary und Floorwork mit gelerntem von Streetstyles wie Breaking und Popping. Generell mag ich physische Bewegungen, die mich herausfordern, aber oft ein Gemisch von verschiedenen Tanzstilen.
Dein Tanzvideo «Dear Future Generation: Sorry» sorgt gerade im Netz für Furore. Wie wichtig ist es dir als Tänzerin ein Kommentar zu den aktuellen Themen abzugeben?
Wir leben in einer kritischen, entscheidenden und turbulenten Zeit. Viele Entscheidungen, die wir heute treffen, haben Auswirkungen in der Zukunft. Ich als Tanzschaffende und Künstlerin sehe es als meine Aufgabe, meinen Teil am gesellschaftlichen Systemwandel beizutragen, der absolut notwendig ist, um eine lebenswerte und gerechte Zukunft für alle zu sichern. Die Tanzkunst kann das Publikum mit einer Thematik wie Klimagerechtigkeit oder Klimakrise auf einer anderen Ebene, einem anderen Sinneskanal erreichen als es Worte, Reportagen, Podiumsdiskussionen, Demonstrationen, Podcasts oder Ähnliches tun.
Ich fühle mich verpflichtet meinen Beitrag in Form von Kunst an die Erhaltung und die Steigerung der Qualität unserer Natur zu leisten.
Für was lohnt es sich zu tanzen?
Zum einen lohnt es sich zu Tanzen für das eigene Wohlbefinden. Tanzen ist gesund, befreit, hilft den Kopf auszuschalten, Probleme zu vergessen und es macht glücklich. Tanzen fördert die Kreativität, das Körperbewusstsein und durch die Stunden die man mit inspirierenden Personen verbringt, können schöne Freundschaften entstehen.
Viele Menschen behaupten von sich, dass sie nicht tanzen können. Ist da wirklich etwas dran oder ist alles eine Frage des Fleisses?
Wie auch im Sport reicht Talent alleine nicht aus um unter den Besten mitzumischen. Fleiss ist essenziell und ein ausschlaggebender Faktor für Fortschritt und Erfolg. Ich würde behaupten, dass ich persönlich mehr Fleiss mit «Köpfchen» mitbringe als pures Talent.
Du wanderst im August aus. Wie hat deine Familie darauf reagiert?
Meiner Familie ist bewusst wie klein die Chance für eine Festanstellung an einem Theater ist. Deshalb war natürlich die Freude und der Stolz umso grösser. Ich bin meiner Familie sehr dankbar für ihre Unterstützung, denn mir ist bewusst, dass nicht jedes Kind diese Möglichkeiten bekommt. Ferien in Rostock haben meine Eltern für im Oktober schon geplant und mit meinen Geschwistern Annik und Dario werde ich sowieso in Kontakt bleiben.
Was ist der grösste Traum, den du dir noch erfüllen möchtest mit dem Tanzen?
Eine Festanstellung im Theater war schon immer mein Traum. Mein Ziel ist es auch, möglichst lange selbst zu tanzen. Auch als Choreographin kreiere ich gerne eigene Tanzstücke, die sich vor allem mit gesellschaftlichen und aktuellen Themen auseinandersetzen. Wenn also die Tanzkarriere fertig ist kann ich mir gut vorstellen, weiter eigene Projekte auf die Beine zu stellen. Ich möchte Personen mit meiner Leidenschaft berühren, inspirieren und eine Stimme sein für diejenigen, die nicht die Chance dazu haben.
Wann kann man dich in der Region tanzen sehen?
Als Tänzerin bin ich für mindestens eine Saison ab August in Rostock auf der Bühne zu sehen. Jedoch wird mein eigenes Tanzstück «Daimonion» am 14./15. Oktober im Rahmen vom «Sprungbrett 23» im Theater in Chur aufgeführt und am 19. November im Rahmen vom Tanzfestival Winterthur im Theater am Gleis. Das Duett wird getanzt von Jana Dünner und Lea Korner. Ich war dafür Choreografin und mache die Projektleitung. Das Stück setzt sich mit unseren autoritären Stimmen, unserem inneren Kritiker, im griechischen «Daimonion», auseinander und soll zu einem bewussteren Umgang dessen ermutigen. Das Duett läuft unter der «Dance Company ONE», welche Milena Büchi und ich zusammen im März 2022 gegründet haben.