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Kultur
15.04.2023
13.04.2023 12:38 Uhr

Laut gedacht: Worte haben Kraft

Bild: Patrick Tomasso
Kürzlich hat mir ein Korrespondent einen Text geschickt, in dem er sich selbst als «Schreiberling» bezeichnet hat. Obwohl dies auf den ersten Blick natürlich noch irgendwie spielerisch und witzig klingt, ist die Bedeutung davon laut Duden doch recht ernüchternd.

Dort steht nämlich bei diesem Begriff «Autor[in], der bzw. die schlecht [und viel] schreibt». Als Redaktionsleiter habe ich ihm diese Bedeutung unterbreitet und ihn somit vor einer unfreiwilligen Selbstkritik bewahrt. Was bei diesem kleinen Wort aber noch viel schlimmer ist und bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen liess, ist der Umstand, dass die Nationalsozialisten, allen voran der Propagandaminister Joseph Goebbels, Journalisten und eben auch Schreiber zu Schreiberlingen abgewertet hat. Er war derjenige, der diesen Begriff überhaupt salonfähig gemacht hat. Dieses kleine Beispiel zeigt auf, wie viel Kraft Worte haben können und wie gefährlich es werden kann, wenn sie von den falschen Personen verwendet werden. Ist es für Sie nicht auch irgendwie beängstigend, wie rasant aus Geflüchteten oder Flüchtenden in den vergangenen Jahren zu «Flüchtlingen» wurden? Und wie diese Menschen durch eine kleine Endung oft ziemlich unbewusst kleingemacht werden? In meiner Ausbildung zum Radiojournalisten habe ich nicht nur gelernt, wie viel Kraft und Macht Worte haben können, sondern dass es sich auch immer lohnt, gängige Begriffe zu hinterfragen. Der Begriff «Asylant» zum Beispiel wird in der Schweiz häufig gebraucht, obwohl er eine Mischform aus dem eigentlich korrekten Begriff «Asylsuchenden» und dem «Simulanten» ist. Schon schräg, wenn man sich das so mal überlegt. Es mag wahrscheinlich spitzfindig klingen und auch ich muss mich hin und wieder konzentrieren, dass ich nicht auf solche Begriffe reinfalle. Doch Sprache ist immer auch Politik und bereits im Kleinen kann Grosses bewegt werden. Wäre es nicht schön, dass es zumindest sprachlich für alle fair zu und her geht?

Christian Imhof