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Tagung «Emotional und belastet»

Jürg Marguth erklärt, wieso es wichtig ist psychisch wie physisch fit zu sein, nicht nur auf der Alp.
Jürg Marguth erklärt, wieso es wichtig ist psychisch wie physisch fit zu sein, nicht nur auf der Alp. Bild: Reiner Schilling
Der ereignisreiche Alpsommer 2022 brachte in Zusammenhang mit der Grossraubtierproblematik zahlreiche Akteure an ihre physischen und psychischen Grenzen. Die Betroffenen selbst sowie die wiederkehrenden Belastungen, welche auch bei Einsatzkräften auftreten, standen im Zentrum einer Tagung am Plantahof, initiiert vom Team der Herdenschutz-Beratung.

Mit dem Titel «Emotional und belastet» veranstaltete vergangenen Freitag die landwirtschaftliche Beratung am Plantahof, Landquart GR eine Tagung mit Expertinnen und Experten aus der Psychotherapie für das Zielpublikum Alppersonal und Alpfunktionäre aber auch für Beratende und Amtspersonen. Diese Gruppen mussten sich vergangenen Alpsommer vorwiegend mit Wolfsrissen von Nutztieren auseinandersetzen. Wasser- und Futterknappheit waren ebenso Krisenthema und der anhaltende Druck auf die Schweizer Landwirtschaft sorgte für ein störendes Grundrauschen.

Ziel der Tagung war es, einerseits seelische und körperliche Probleme überhaupt zu thematisieren, beziehungsweise fachlich zu erklären und andererseits den Betroffenen geeignete Werkzeuge im Umgang mit solchen Ereignissen mitzugeben.

Plantahof Direktor Peter Küchler kennt die Sorgen um die Alpwirtschaft und gerade beim Umgang mit psychischen Belastungen sieht er Defizite. Sogenannte Regelmechanismen wären nicht vorhanden oder würden nicht richtig funktionieren. Sein Ziel formulierte er: «Stärker, widerstandsfähiger und kompetenter werden, um eine Situation auszuhalten, die schwer erträglich ist.» Batist Spinatsch, Leiter Beratung klammerte vorneweg aus: «Wir führen heute keine Wolfsdiskussion, sondern möchten über uns selbst reden.»

«take care of yourself»

Fachreferent Jürg Marguth aus Chur ist Psychotherapeut und Supervisor aber auch ehemaliger Älpler. Somit weiss er um die Belastung im Älpleralltag. Die heutige Leistungs-gesellschaft tue sich schwer, mit Krisen und belastenden Ereignissen umzugehen. Die daraus folgenden Symptome, zum Beispiel depressive Verstimmung, verursachten Einschränkungen von Handlungsfähigkeit und Objektivität. Belastungsformen, wie das Gedankenkreisen, könne man nicht mit einer Schalterumdrehung durchbrechen; Schreckensbilder von toten Tieren, die er in diesem Zusammenhang Provokationen nennt, lösten Unvorhergesehenes aus.

Marguth möchte durch «Ent-emotionalisierung als möglicher Weg» einen Umgang damit finden. Durch die Reduktion des Belastungsgefühl ist eine konstruktive Handlungsmöglichkeit gegeben. Ein Lösungsansatz wäre für ihn die Interventionskette nach dem Psychologen Clemens Hausmann in drei Phasen: Akutphase, Runder Tisch und professionelle Hilfe. Gerade eine Gesprächsgruppe, wie Familie, Alpteam oder Dritte müsse vorbereitet sein und auf Augenhöhe stattfinden, betonte Marguth. Über formulierte Fragen wie «Was habe ich gesehen, gehört, gefühlt?» und «Wie geht es mir?» rückt er die Sorge um sich selbst mit «take care of yourself» in den Mittelpunkt.

Als Spezialistin auf ihrem Gebiet kann Gisela Perren-Klinger auch auf Erfahrungen aus Krisengebieten sowie internationale Tätigkeiten zurückgreifen. Bild: Reiner Schilling

Stressreaktion sind immer gleich

Die Spezialistin in Psychiatrie und Psychotherapie Gisela Perren-Klinger unterteilt Krisen in akute (Anfang und Ende) und chronische (hoher Stress ohne Ende), denn «Krisen bedingen immer Stress.» Sie möchte «Über Gesundheit reden» und «Krisen zu Herausforderungen machen», sprich Hilflosigkeit, Unverständnis sowie Revolte und Hass umbauen und somit Kontrolle, Verständlichkeit und Sinnhaftigkeit wiederherstellen.

Ein Ressourcenverlust sei kein adäquater Gewinn und negative Stressreaktionen hallten nach. «Man spürt sich selbst nicht mehr richtig.» Das verlange nach einer Pause. Wiederum seien positive Reaktionen ein Geschenk und stärkten das Überleben. Biologisch gesehen liefen Stressreaktionen bei allen Menschen gleich ab.

Möglichkeiten, also Werkzeuge, um damit umzugehen, gliedert Perren-Klinger in Sofortmassnahmen. Die sogenannten Peers (ebenbürtige Ansprechpersonen) fragen: Was ist passiert? Was hast du gesehen und gehört? Was hast du gemacht? Als direktes Stressmanagement empfiehlt sie Atemtechnik als Stopp-Modell oder etwas trinken und sich selbst spüren. Erst danach sollten Massnahmen zum Ereignis angegangen werden.

«In den ersten vier Tagen darf man nicht von Angst und Wut reden», ergänzte sie. Es soll geordnet, die genaue Geschichte erstellt sowie Gefühle und Werte erkannt und abgeschlossen werden. Anschliessend gilt es Konsequenzen für Zukunft zu formulieren und gegebenenfalls wird die Gemeinschaft mobilisiert.

Den Teilnehmenden gab sie auf den Weg, nicht immer im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen. «Ich bin auch noch jemand!» Eher «in einem Rückblick auf die Erfolgserlebnisse des Tages schauen.»

Die Verantwortlichen beim Plantahof nehmen die thematisierte und nun rudimentär aufgearbeitete Situation sehr ernst. Die Tagung sei als erster Schritt zu betrachten. Weitere Anlässe, in unterschiedlicher Form, mit differenziertem Fokus und an verschiedene Zielgruppen gerichtet, sollen folgen.

Reiner Schilling