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Laubänähus – Haus der Lawinen eröffnet

Bild: Peter Müller
Nach einem umfassenden Umbau wurde das Ortsmuseum in St. Antönien am 17. Dezember mit einem besonde-ren Anlass wiedereröffnet. Wer sich nun dabei ein Museum im herkömmlichen Stil vorstellt, der hat sich schwer getäuscht. Die Kulturgruppe St. Antönien und der ehemalige Dorfpfarrer, Holger Finze, haben eine ganz besondere Gestaltung gewählt und zeigen mit dem in St. Antönien allgegenwärtigen Thema der Lawinen eine besondere und eindrückliche Ausstellung und bieten ein unerwartetes Erlebnis.


So gegen 15 Uhr versammelten sich mehr und mehr Leute auf dem Platz vor dem ehemaligen Post- und Bankgebäu-de in St. Antönien. Verschiedene Feuerschalen verbreiteten etwas Wärme und zu den aufgestellten Marktständen hin wurden Getränke und Speisen hinzugetragen. Als dann auch die Lautsprecheranlage aufgestellt war ging es los. Der Präsident der Kulturgruppe St. Antönien und unermüdliche «Chrampfer», Jann Flütsch griff zum Mikrofon und begrüsste die nun sehr zahlreich anwesenden Gäste mit seinen launigen Worten. Er rief die grossen Anstrengungen für die Umgestaltung des Ortsmuseums in das heutige «Laubänähus» in Erinnerung. Nachdem das Projekt durch grosszügige Unterstützung durch den Kanton, die Gemeinde Luzein und Beiträge von verschiedenen Stiftungen finanziell abgesichert war, begann dann die Umsetzung. In unzähligen Arbeitsstunden wurden durch fleissige Helferhände die Räumlichkeiten um- und neugestaltet. Auch das einheimische Gewerbe half tüchtig mit, so dass dieser Umbau in rund drei Monaten erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Die letzten Arbeiten erfolgten noch an diesem Samstagmorgen – also auf den «letzten Drücker». Und nun stand es also bereit für die ersten Besucher, das «Laubänähus», als Kleinod, ganz hinten im Tal! Jann Flütsch dankte stellvertretend für die vielen Helfer und Unterstützer Holger Finze für die Konzeptarbeit und seiner Frau für die Geduld und das Mittragen in dieser doch sehr anstrengenden Zeit des Umbaus. Und schliesslich griff auch Zwillingsbruder Ernst Flütsch zum Mikrofon, um im Namen aller Anwesender seinem Bruder Jann für den unermüdlichen Einsatz als Präsident der Kulturgruppe St. Antönien – seit nunmehr 30 Jahren! – und insbesondere für sein grosses Engagement bei der Umsetzung für das «Laubänähus» zu danken. Der anschliessende Applaus für den umtriebigen Jann Flütsch hat er sich mehr als verdient. Damit aber noch nicht genug: nun trat der 95-jährige Konrad Flütsch-Gansner ans Mikrofon. Der ehemalige Landamman, Grossrat und Gemeindepräsident von St. Antönien schilderte mit eindrücklichen Worten seine Erlebnisse aus dem Lawinenwinter 1935. Er erzählte wie er als damals 8-jähriger Knabe das tragische Ereignis vom 4 Februar, welches 7 Menschenleben forderte, erlebte – und vor meinen Augen zeigte sich noch einmal den Zeitungsartikel aus der «Zürcher Illustrierten», welcher mir bei einer früheren Recherche in die Hände gelangte. Da die neu gestaltete Ausstellung nur für eine beschränkte Personenzahl Platz bietet, wurden die Besucher in kleineren Gruppen eingelassen. Aber die Wartenden wurden nicht einfach warten gelassen. Für den Schwatz auf dem Vorplatz konnte man sich mit einer feinen Gemüsebouillon oder mit einem köstlichen Risotto aus der Küche des Hotels Madrisajoch verpflegen. Und die kalten Hände klammerten sich bald einmal um eine Tasse feinen Glühwein.

Die Ausstellung
Gleich neben dem Eingang befindet sich ein abgedunkelter Vorführraum, in welchem altes Filmmaterial zum Thema «Laubänä» vorgeführt wird. Und einige Schritte weiter gelangt man in die nachgebildete Stube der Familie Flütsch, in welcher im Jahr 1951 auf glückliche Weise die ganze sechsköpfige Familie und der Futterknecht die Zerstörung des Hauses im Meierhof unbeschadet überlebt haben. In der Ecke der Stube steht ein Kachelofen. Und ein ebensolcher, metallummantelter Ofen rettete diesen Menschen das Leben, indem die Zimmerdecke nur bis zum Ofen eingedrückt wurde und die daneben kauernde Familie so unversehrt blieb. An diesem Eröffnungstag war dies aber nicht nur über-lieferte Geschichte! In dieser Stube sassen die vier Geschwister Flütsch an einem Tisch zusammen und konnten von ihrem wirklich Erlebten an diesem denkwürdigen Abend des 20. Januar 1951 mit dem verheerenden Lawinennieder-gang erzählen. Sie erinnerten sich, wie der Futterknecht im letzten Moment vom Tisch sprang und auch den Schutz des Ofens suchte, bevor die herunterbrechenden Deckenbalken die dort hängende Petrollampe ins Tischblatt hinein-drückten. Die herbeieilenden Nachbarn hörten zunächst die Hilferufe der Familie nicht und dachten wohl, dass es hier kaum noch etwas zu retten gäbe. Etwas später wurde die Familie geborgen und nun, gut 71 Jahre danach sitzen diese vier damaligen Kinder als bestandene Erwachsene in dieser Stube und erzählen von jener Schreckensnacht. Vor ihnen auf dem Tisch sind Porzellanwaren, welche in der damaligen Stube im Meierhof in Schränken und Gestellen lagerten und trotz der massiven Gewalt der Lawine nicht zu Bruch gingen. Nur schon dieses Erlebnis des Zuhörens bei diesen Erinnerungen machte diese Wiedereröffnung zu einem unvergesslichen Erlebnis. Auf dem weiteren Rundgang durch die Ausstellung wird anhand von Bildern eindrücklich dargestellt, welche Zerstörungskraft Lawinen haben können. Und immer wieder ist Überraschendes zu entdecken. In einer kleinen Ecke ist eine kleine Vorrats-kammer zu entdecken, welche aufzeigt, wie auch kleinste Kellerräume damals einzelnen Personen und Familien Schutz vor den winterlichen Naturgewalten bot. Und dann sind da natürlich die tonnenschweren Betonelemente zu bestaunen, welche Mitte der 1950-er Jahre am Chüenihorn zu kilometerlangen Lawinenverbauungen installiert wurden. Und gleich daneben sind Teile der Stahlwerke ausgestellt, welche nun allmählich die alten Betonelemente ersetzen. Auf diesen Fragmenten der Lawinenverbauung ist mit einem Zeitstrahl dargestellt, wie sich die Planung und der Bau des Lawinenschutzes für St. Antönien über die Jahre entwickelten. Und immer wieder ist das unheimliche Grollen der niedergehenden Lawinen oder die Montagegeräusche bei der Installation der neuen Stahlwerke aus den im Museum installierten Lautsprechern zu vernehmen. Geplant, aber aktuell noch nicht in Betrieb ist eine Kältekammer in welcher so ein Lawinenniedergang auch partiell miterlebt werden kann. Nur schon dies macht «gwundrig» auf einen weiteren Besuch in diesem ganz besonderen Museum. Das Museum ist ab sofort jeweils am Mittwoch und am Samstag zwischen 15 und 17 Uhr geöffnet.


Die Unterstützer
Aber was wäre so ein Museum ohne all die vielen gut gesinnten Personen und Organisationen? Neben den bereits erwähnten tüchtigen Helfern aus dem Kreis der Mitglieder der Kulturgruppe St. Antönien gibt es eine ganze Reihe weiterer grosszügiger Unterstützer für dieses besondere, wenn nicht gar einmalige Projekt. Es sind dies: Kanton Graubünden – Amt für Kultur & Amt für Wald und Naturgefahren; Gemeinde Luzein; Kultur Prättigau; Erica Stiftung; Johannes Walli Stiftung; Anny Casty-Sprecher Stiftung und Boner-Stiftung. Und schliesslich waren auch viele lokale und regionale Handwerks- und andere Gewerbebetriebe für den erfolgreichen Umbau des ehemaligen «Poscht-Chäller» zum «Laubänähus» verantwortlich: Ueli Flütsch für die Holzarbeiten, Georg Pleisch für die Hafnerarbeiten, Stefan Felix für Elektro, Video und Sound, Lori Lingenhag für die Sanitärarbeiten, Oli Wülser für Bilder und Beschrif-tungen, Martin Bardill für die Malerarbeiten, Martina Scherrer für die Vorhänge und nicht zuletzt Jann Flütsch für die Plattenarbeiten.

Peter Müller