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Prättigau
20.11.2022

Von der Sulzfluh bis in den Himalaja

Bild: zVg
Der Kletterclub Rätikon feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. Ein Blick ins Archiv offenbart die bewegte Vergangenheit des Vereins mit abenteuerlichen Erstbegehungen und illustren Gipfelbesteigungen.

Man schrieb das Jahr 1972 als mit Jöri Bardill und Hans Joos zwei kletterbegeisterte Schierser Mitglieder des SAC Prättigau die Vision hatten, zusammen mit Gleichgesinnten den Kletterclub Rätikon (KCR) aus der Taufe zu heben. Vital Eggenberger, Joos Flütsch, Tomi Grass, Ueli Hew, Andres Meier, Peter Müller, Ueli Jenny und Bruno Sprecher folgten ihrem Aufruf und bildeten zusammen das Gründungsteam. «Wer in den KCR aufgenommen werden wollte, musste sich zuerst als Kandidat bewerben und mindestens drei schwierige, klassische Rätikon-Klettertouren vorweisen können», erinnert sich Gründungsmitglied und Ex-Präsident Vital Eggenberger. Der Sohn eines St. Antönier Grenzwächters weiss, wovon er spricht: Nachdem er zusammen mit Joos Flütsch die Kletterleidenschaft entdeckt hatte, trug er in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit zahlreichen Erstbegehungen massgeblich dazu bei, im Rätikon neue Kletterrouten zu erschliessen und einzurichten. Im Jahr 2002 wurde er von der Bündner Regierung anlässlich des internationalen Jahrs der Berge dafür mit einem Anerkennungspreis geehrt.  

Pardutzerhütte als «Basecamp»
Die Kirchlispitzen fristeten bis dahin zwischen der Schesaplana und der Drusenfluh und Sulzfluh eine Art Schattendasein. «Vermutlich, weil es zwischen der Schesaplanahütte und Carschinahütte für einen direkten Zustieg keine Übernachtungsmöglichkeit gab», erklärt Eggenberger. Das änderte sich schlagartig, als der KCR im Jahr 1973 von der Gemeinde Grüsch die ehemalige «Polenhütte» im Pardutz (heutige Pardutzerhütte) übernehmen, ausbauen und betreiben konnte. «Von dort aus wurden in den Kirchlispitzen dann zahlreiche neue Routen erschlossen – von klassischen Routen entlang von Verschneidungen bis hin zu Routen über Felsplatten und Überhänge wie Silbergeier, Hannibals Alptraum, etc., die heute zu den schwierigsten und bekanntesten der Welt zählen.» Nebst illustren Cracks wie Beat Kammerlander, etc. wurden diese Routen übrigens auch von der Prättigauerin Nina Caprez als erste Frau der Welt durchstiegen (P&H berichtete). Die Pardutzerhütte am Fusse der Kirchlispitzen und des Schweizertors wird heute noch vom KCR unterhalten und betrieben und bei Bedarf interessierten Kletterern zur Verfügung gestellt (Schlüssel beim Hüttenwart anfordern). 

Bild: zVg

Sulzfluh-Derby
Ein weiteres «Produkt» des Kletterclubs Rätikon war das weitum bekannte Sulzfluh-Derby, das 1976 aus der Taufe gehoben wurde und – je nach Bedingungen – fast jährlich bis ins Jahr 2005 durchgeführt wurde. Am Anfang stand laut Eggenberger vor allem die Geselligkeit unter den Kletterclubs aus verschiedenen Orten der Schweiz im Vordergrund. «Am Abend vor dem Rennen sassen wir im «Alpenrösli» in Partnun alle gemütlich beisammen und hatten ein tolles Fest, das teilweise bis in die frühen Morgenstunden dauerte. In den letzten Jahren kam dieser kollegiale und gesellige Geist von damals immer mehr abhanden. Zudem geriet der Anlass immer mehr in den Schatten der damals boomenden Skitourenrennen, wo es primär um sportliche Leistung ging», resümiert Eggenberger. So wurde die begehrte Siegertrophäe «Rostiger Haken» 2012 schliesslich an den echten Haken gehängt.

Breiter Leistungsausweis
Die Mitglieder des KCR zog es auch immer wieder von den steilen Wänden des Rätikons in die weite Welt hinaus: So war es zum Beispiel Bruno Sprecher (Ex-Skilehrer von Prinz Charles), welcher im Jahr 1986 als erster Prättigauer auf einem 8000er stand (Broad Peak 8051 Meter). Jöri Bardill und Joos Flütsch durchquerten als erste Prättigauer die Eigernordwand und Stefan Furger, Frank Tschirky, Hitsch Bardill, Peter Donatsch und Vital Eggenberger debütierten 1982 im Mekka der Sportkletterei, dem amerikanischen Yosemite Valley (El Capitan, Half Dome). Hitsch und Jöri Bardill gelang zwei Jahre zuvor eine Winterbegehung der Matterhorn Nordwand. Aber auch im Bergell, den Dolomiten dem Kaukasus, den Anden, in Afrika und anderen Klettereldorados auf dieser Welt bewiesen die Mitglieder des KCR ihr Talent. In der Neuzeit machte, wie zuvor bereits erwähnt, unter anderem Nina Caprez von sich reden. Mit dem Durchstieg der schwierigsten Routen schaffte sie den Sprung auf den Olymp der weltbesten Klettererinnen. An dieser Stelle alle Leistungen der KSC-Mitglieder aufzuführen, würde den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen.

Bild: zVg

Rege Vereinsaktivität
Der Kletterclub Rätikon, dem heute gut 40 Mitglieder angehören, fördert das Klettern, Bergsteigen und Skitourenlaufen. Er vertritt die Interessen der Kletterer im Rätikon im Rahmen der Sicherheit und der Nutzungskonflikte. Er betriebt die Pardutzerhütte und setzt sich für die Erhaltung von Natur und Landschaft im Rätikon und den angrenzenden Gebieten ein. Zudem bietet er vielfältige Aktivitäten und Weiterbildungen und erstellt eine Clubzeitschrift als Form für den Erfahrungsaustausch. Zum Jahresprogramm gehören unter anderem Kletter-, Alpin- und Skitouren, Routensanierungen, Familienklettern, Weiterbildungskurse, Schnuppertage in anderen Sportarten, ein Hüttentag, Wintertrainings, Sportwettkämpfe und der Kontakt mit anderen Kletterclubs. Als aktueller Präsident amtet Curdin Winzeler. Sein rundes Wiegenfest hatte der Kletterclub Rätikon übrigens am vergangenen 1/2. Oktober in Melchsee Frutt und bewusst nicht im Prättigau gefeiert: «So kam keiner auf die Idee, nach dem Anlass gleich wieder nachhause zu verschwinden. Halt so wie beim damaligen Geist des ‘Sulzfluh-Derbys’», schmunzelt Eggenberger abschliessend. Weitere Infos und Kontakt zum Club unter: kcr-online.ch

Marco Schnell