P&H: Wann hat die Jägersektion Prättigau dieses Jahr mit der Rehkitzrettung begonnen?
Andrea Wieland: Am 10. Mai sind wir zum ersten Mal geflogen. Am 16. Mai waren wir zum ersten Mal erfolgreich und haben gleich zwei Kitze, die etwa zwei Tage alt waren, gefunden. Grundsätzlich gilt: Ab der zweiten Maiwoche muss aber schon mit Kitzen in tiefergelegenen Wiesen gerechnet werden.
«Wir benötigen eine dritte Drohne und weitere Helfer»
Wie viele Male waren die Piloten und deren Helfer bis zum jetzigen Zeitpunkt im Einsatz?
Insgesamt wurden bis heute rund 200 Parzellen abgeflogen und dabei zirka 70 Kitze vor einem möglichen Mähtod bewahrt.
Entspricht diese Zahl in etwa der Zahl vom letzten Jahr zur selben Zeit?
Letztes Jahr waren es «nur» 124 Einsätze. Wir konnten durch ein sehr gut funktionierendes kleines Team dieses Jahr noch mehr Einsätze fliegen. Aber offen gesagt stiessen wir an unsere Grenzen.
Wie lange denken Sie, Herr Wieland, wird das Ganze noch andauern?
Bis spätestens am 20. Juli werden wir für die Kitze und die Bauern da sein. Jedoch ab dem 1. Juli wird es nur noch vereinzelte Einsätze in höheren Lagen geben. Die meisten Kitze fliehen dann selbstständig vor den Mähmaschinen.
Jäger gehen im Herbst auf die Jagd und schiessen unter anderem auch Rehe. Böse gefragt: Warum opfern Bündner Jäger im Frühsommer ihre Freizeit, um Rehkitze zu retten?
Nun diese kritische Argumentation mussten wir uns auch schon anhören. Aber auf den Punkt gebracht: Zum einen ist es für einen beteiligten Helfer aussichtslos, «sein» gerettetes Reh später im Herbst zu erlegen und auch nicht das Ziel. Wenn solche Hilfeaktionen, um Tierleid zu verhindern, in Frage gestellt werden, dann müssen wir uns auch ganz andere Fragen im Umgang mit Wildtieren und der Umwelt stellen, die dann die gesamte Bevölkerung betreffen würden, so zum Beispiel in Bezug auf deren Freizeitverhalten. Die Jägerschaft ist mit den Abläufen in der Natur vertraut und verbunden und dazu gehört nicht nur die Jagd. Die Jägerschaft leistet unentgeltliche Einsätze für die Aufwertung und den Schutz unsere Fauna und Flora während des ganzen Jahrs. Darüber schwätzen ist das eine. Aktives Handeln erfordert eben persönlichen Einsatz – wir tun das aus tiefster Überzeugung, um genau solches Leiden zu verhindern.
Können Sie unserer Leserschaft erklären, warum die Einsätze hauptsächlich am frühen Morgen oder allenfalls auch noch am Abend stattfinden?
Mit einer Wärmebildkamera kann man am effektivsten in der Dämmerung arbeiten. Sobald die ersten Sonnenstrahlen den Boden erwärmen, wird es schwieriger die einzelnen Wärmequellen zu unterscheiden. Am Abend ist es dasselbe, wobei Steine und Maushaufen die Wärme der Sonne noch lange nach ihrem Untergang gespeichert haben. Da braucht es ein gut geschultes Auge, um ein Rehkitz zu erkennen.
Bei der Jagdsektion Prättigau stehen zwei Piloten und zwei Helfer mit je einer Drohne mit einer Wärmebildkamera im Einsatz. Wie stark wird dieses Team gefordert? Haben Sie genügend Leute, um allen angemeldeten Einsätzen gerecht zu werden?
Gerade nach einer Schlechtwetter-Periode ist unser Team enorm gefordert. Die zwei Damen der Rehkitzrettungs-Einsatzzentrale nehmen an solchen Tagen bis zu 70 Telefonate entgegen. Mit dem kleinen Einsatzteam und den zwei Drohnen ist es eine kaum zu bewältigende Herausforderung allen Meldungen nachzugehen. Wir wären darum sehr froh, wenn wir noch mehr Piloten und Helfer in unserem Team hätten. Wir würden uns über Freiwillige mit flexibler Tageseinteilung freuen.
Wie sieht es mit den Drohnen aus? Genügen die zwei, die ihre Sektion zur Verfügung hat, um der Aufgabe gerecht zu werden?
Wie bereits erwähnt ist dies ein Grundproblem. Unser Ziel wäre es, mit drei Drohnen zu arbeiten. So könnten wir uns lange Anfahrtswege ersparen und zur selben Zeit mehrere Wiesen absuchen. Das würde die Einsatzflexibilität erhöhen, aber bedingt auch weitere Piloten und Helfer.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Landwirten?
Da möchte ich ein grosses Lob an die Bauern in unserem Einsatzgebiet aussprechen. Sie haben Geduld und Verständnis. Auch wenn wir nicht auf die Minute genau bei ihnen ankommen, weil ein vorheriger Einsatz mehr Zeit beanspruchte. Auch ist oft bereits ein Obstharass bereitgestellt, falls wir ein Kitz entdecken, um dieses damit während dem Mähen abzudecken. Die Einsätze sind kostenlos für die Landwirte und trotzdem werden wir mit Beiträgen als Dankeschön unterstützt. Dieses Geld fliesst auf unser speziell eingerichtetes Konto für die Rehkitzrettung, um die laufenden Kosten zu decken.
Was würden Sie an dieser Stelle noch gern loswerden und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Nun in erster Linie möchte ich der Einsatzzentrale, unseren Helfern und den Bauern danken, die sich aktiv melden, um dieses Tierleid zu verhindern. Alle leisten in dieser kurzen Zeit einen enormen Einsatz und Zeitaufwand. Dies ist nicht selbstverständlich, aber zeigt die Verbundenheit mit unserer Natur und der Heimat auf. Ich wünsche mir vor allem, dass sich mehr freiwillige Helfer:innen bei uns melden. Auch Nichtjäger sind da herzlich willkommen. Solche haben wir schon in unserem Team und diese bringen enorm viel.
Zum Schluss, gibt es weitere Möglichkeiten, Eure Einsätze oder auch die Arbeit der Jägersektion Prättigau zu unterstützen?
So gefragt sind wir natürlich auch auf die finanzielle Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Eine Drohne mit Wärmebildkamera kostet in der Anschaffung rund 5000 Franken. Hier zählt jeder Franken, den wir erhalten. Erklärtes Ziel ist es, im nächsten Frühjahr mit einer dritten Drohne und motivierten Helfern das Leid in unseren Wiesen weiter zu verkleinern.
Weitere Infos unter: www.jaegerverein-praettigau.ch/