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Jenaz
12.04.2022
12.04.2022 19:24 Uhr

Wolfpräsenz verunsichert die Bevölkerung

Informierten kompetent: Billy Bebi, Wildhüter, Stefan Geissmann,  Herdenschutzbeauftragter Kleinvieh und das Prättigau, Adrian Arquint, Leiter AJF GR, und Valentin Luzi, ehemaliger Leiter Abteilung  Agrarmassnahmen im ALG (v.l.n.r.).
Informierten kompetent: Billy Bebi, Wildhüter, Stefan Geissmann, Herdenschutzbeauftragter Kleinvieh und das Prättigau, Adrian Arquint, Leiter AJF GR, und Valentin Luzi, ehemaliger Leiter Abteilung Agrarmassnahmen im ALG (v.l.n.r.). Bild: H. Wyss
Der Wolf verursacht massive Mehrbelastungen in der Land- und Alpwirtschaft. Und er schürt Ängste in der Bevölkerung. Nicht von Ungefähr liessen sich am Montag im Rahmen des durch die Mitte Prättigau organisierten Vortragabends rund 130 Personen aus erster Hand über den Stand der Wolfspopulation und die laufenden politischen Verhandlungen informieren.

In Graubünden gehen je länger je mehr Wölfe um. Im letzten Jahr wurden über 50 genetisch identifizierte Tiere gezählt. Laut Jahresbericht des Amts für Jagd und Fischerei GR (AJF) leben auf Kantonsgebiet sieben Wolfsrudel. Je ein Wolfspaar im Raum Jenaz/Furna/Fideris und Klosters könnte schon bald Junge bekommen. Im Hinblick auf die kommende Heimweid- und Alpzeit bereitet die Präsenz der Grossraubtiere grösste Sorgen. Auch in der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung nimmt die Unsicherheit zu. So fragt sich manch ein Jäger, ob das Leben seines Schweisshundes bei der Arbeit noch sicher ist, und nicht wenige Hundehalter führen ihren treuen Begleiter vor allem in der dunklen Jahreszeit mit gemischten Gefühlen Gassi. «Der Wolf ist da. Es stellt sich die Frage: Was müssen wir uns von ihm gefallen lassen und was nicht?», so Valentin Luzi, Leiter Abteilung Agrarmassnahmen beim Amt für Landwirtschaft Graubünden (ALG) in Pension und Grossratskandidat «die Mitte» im Wahlkreis Jenaz in seiner Begrüssung zum öffentlichen Informationsabend.

«Wölfe gibt es in ganz Graubünden. Die halbe Wolfspopulation der Schweiz lebt in unserem Kanton. Und sie verdoppelt sich alle zwei bis drei Jahre», stellte Adrian Arquint, Leiter AJF, fest. «Leider hat die Gesetzgebung mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten.» Laut Statistik des AJF mussten im letzten Jahr an die 250 Nutztierrisse zur Kenntnis genommen werden. Dazu kommen verletzte, notgetötete Tiere. «Sorge bereitet uns, dass der Wolf gelernt hat, die Herdenschutzmassnahmen zu überwinden und sein antrainiertes Verhalten an die Nachkommen weitergibt», so Arquint. Sein Amt ist für die Beobachtung und das Management der Grossraubtiere, aber auch für die Entschädigung und Beurteilung von Rissen zuständig. Allein die GPS-Besenderung eines auffälligen Wolfes koste 3500 Franken. Das ganze Monitoring für ein einziges Tier belaufe sich auf rund 30 000 Franken.

Wolfspaar Raum Jenaz

Wildhüter Andrea (Billy) Bebi, im Jagdbezirk XI zuständig für die linke Talseite des Prättigaus von Conters bis Valzeina sowie die Trimmiser Alpen, hielt Informationen zum Wolfspaar parat, welches seit 2020 im Raum Jenaz/Furna/Fideris lebt. Wie er anhand der Karte aufzeigte, erstreckt sich das Streifgebiet der Wölfe M162 und F64 von Grüsch über Valzeina bis zum Hochwang, in die Heuberge und weiter fast bis Serneus. Der jüngste, durch die Fotofalle in Furna festgehaltene Nachweis, datiert vom 3. April 2022, 22 Uhr. «Die Wölfe legen in einer Nacht problemlos bis zu 50 Kilometer zurück. Ab dem frühen Morgen halten sie sich in ihrem Tageslager auf – meistens im Furnertobel», wusste Billy Bebi zu berichten. Ob die beiden Tiere in diesem Frühjahr Nachwuchs erwarteten, lasse sich noch nicht sagen. «Wenn es Junge gibt, werden diese etwa im Mai zur Welt kommen. Feststellen lässt sich dies Ende Juli/Anfang August.» Ein erster Wurf zähle in der Regel bis vier Junge, wobei nicht alle überleben würden, so der Wildhüter. Erwiesenermassen auf das Konto des Wolfsrüden M162 geht ein Schafriss in Furna im Herbst 2020. Wer für den Tod von Zwillingskälbern während der Alpung gleichen Jahres verantwortlich gewesen sei, habe nicht mehr festgestellt werden können.

Rot eingerahmt das Streifgebiet des Wolfpaars M162 und F64. Bild: AJF

Herdenschutz mit Grenzen

Stefan Geissmann, als Herdenschutzberater und Herdenschutzhundeberater zuständig für das Kleinvieh und das Prättigau, informierte im Detail, welche Massnahmen auf dem Betrieb, der Allmende und in der Alp erforderlich sind, damit die Nutztiere als «geschützt» gelten und welche Besonderheiten für Schafe und Ziegen, für Tiere der Rinder- und Pferdegattung, für Neuweltkameliden und Weideschweine gelten. «Herdenschutz ist nach wie vor freiwillig, aber ohne Schutzmassnahmen sind Risse vorprogrammiert und es gibt keine Entschädigung», erklärte der Herdenschutzbeauftragte. Auch, wenn Risse im «geschützten Rahmen» abgegolten würden: «Die Situation belastet die betroffenen Landwirtinnen und Landwirte auch psychisch, ebenso wächst der Druck auf die Älpler.» Herdenschutz, das töne klar und sinnvoll, sagte Geissmann. Nur: Die Massnahmen seien nicht in jedem Fall wirksam und auch nicht überall zumutbar. «Beim Schutz mit Zäunen stehen Aufwand und Nutzen in einem immer schlechteren Verhältnis. Beim Schutz mit Hunden – damit der Grundschutz gegeben ist, müssen jeweils mindestens zwei geprüfte, über 18 Monate alte Hunde im Einsatz stehen – nimmt der Schutz ab und die Sekundärschäden zu.» Weiter gab der Herdenschutzbeauftragte zu bedenken, dass sich Herdenschutzhunde auch in den Wintermonaten bei der Herde aufhielten, was in Siedlungen nicht immer einfach sei.

Politische Situation

Nach geltendem Bundesjagdrecht sind die Nutztierhalter gezwungen, Schäden bis zum Erreichen einer bestimmten Schwelle hinzunehmen. Es gestattet den Abschuss von Wölfen erst als «letzte Massnahme» und nur mit Bewilligung des BAFU. Valentin Luzi kam auf die aktuellen politischen Vorstösse zu sprechen. Die Wolfs-Charta des Bündner Bauernverbandes fordert bekanntlich den präventiven Wolfsabschuss analog dem Steinwild, nur noch zwei Wolfsrudel im Kanton, Nulltoleranz bei Angriffen auf Menschen sowie auf Nutz- und Haustiere sowie die Kompetenz-Verschiebung des Wolfsmanagements vom Bund auf die Kantone. Die Umweltkommission des Ständerates (UREK-N) hat vom Bundesrat grünes Licht erhalten, einen neuen Gesetzesentwurf auszuarbeiten, welcher den Weg frei machen soll für eine Flexibilisierung im Umgang mit dem Wolf. Hinter eine Gesetzesrevision stellten sich neben den land- und alpwirtschaftlichen Verbänden diesmal auch verschiedene Umweltorganisationen, was zuversichtlich stimme, sagte Luzi. Der Leiter des AJF pflichtete dem bei. Bis die Gesetzesrevision vorliege, brauche es aber noch Geduld. «Uns stehen noch happige ein bis zwei Jahre bevor.»

Lamariss Untervaz/Meldungen

Nachweise und Nutztierrisse aller vier im Kanton vertretenen Grossraubtierarten können über die Webseite des AJF direkt auf einer interaktiven Karte eingesehen werden. Weitere Meldungen werden dort chronologisch aufgeführt: So am 4. April: «Am Morgen des 30. März 2022 wurde auf einer Weide bei Untervaz ein Lama tot vorgefunden. Das Verletzungsbild am 20-jährigen Tier lässt keinen Zweifel, dass es durch einen Wolfsangriff zu Tode kam. Mit hoher Wahrscheinlichkeit waren zwei Wölfe am Vorfall beteiligt…»

Heidi Wyss