P&H: Welche Bedeutung hat der Internationale Frauentag für Sie als Frau? Als Politikerin?
Paola Giovanoli Calcagno: Dieser Tag hat für mich eine eher symbolische Bedeutung. Die Frauenzentrale Graubünden organisiert jeweils spannende Anlässe, es ist ein guter Tag um sich zu vernetzen. Politisch ist mir allerdings der 14. Juni wichtiger. Mit 500 000 Frauen und solidarischen Männern am Frauenstreik von 2019 durch die Strassen zu laufen hat ermutigt und beseelt: Im Herbst wurden plötzlich viel mehr Frauen in den Nationalrat gewählt, aktuell sind es über 40 Prozent, auch in der Landesregierung.
In Chur wird am Frauentag mit einer Diskussion zur Quotenfrage und einer Strassenaktion die 50:50-Kampagne lanciert. Was ist damit gemeint und warum ist dies aus Sicht der Frau wichtig ist?
Am 5. März 1972 bekamen die Bündnerinnen das kantonale Stimm- und Wahlrecht. Sie machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Doch im Grossen Rat sitzen heute 94 Männer und nur 26 Frauen. Wächst der Frauenanteil gleich schnell weiter wie seit 1972, dann warten wir noch 60 Jahre, bis Gleichstellung im Rat herrscht. Ich würde diese Gleichstellung aber gerne noch erleben. Ziel der Kampagne 50:50 ist, dass Frauen und Männer gleichermassen vertreten sind. Wir fordern deshalb eine ernsthafte Diskussion zur Quotenfrage. Und wir fordern die Bevölkerung auf, gleichstellungsfreundlich zu wählen. Nur die SP und die Grünen haben ihre Listen ausgewogen aufgestellt. Warum?
Vielleicht, weil Qualität wichtiger ist als Quantität?
Ich frage zurück: Sind wir ehrlich, ist die Qualität aller 94 Männer, die jetzt im Grossen Rat sitzen, unbestritten? Müsste man nicht auch bei den 80 Prozent der männlichen Bündner Gemeindevorständen und -präsidenten nach Qualität vor Quantität fragen? Sind alle Männer, die weltweit politische Ämter einnehmen, per se über jeden Zweifel erhaben?
Das ist eine gute Frage. Warum glauben Sie, wagen allgemein nur wenige Frauen den Schritt in die Politik?
Es braucht Selbstvertrauen und ein bisschen Mut. Diesen Schritt müssen wir Frauen machen. Und es braucht ein bisschen Hartnäckigkeit der Parteien. Hin und wieder eine E-Mail an alle weiblichen Parteimitglieder zu schicken, reicht nicht. Erfolgreich war ich zum Beispiel mit kleinen, privaten Frauenrunden. Beim letzten Mal stand eine langjährige Grossrätin Rede und Antwort. Alle Beteiligten haben sich nachher für die Grossratswahl aufstellen lassen, obwohl sie erst sehr skeptisch waren. Die Kleinarbeit aktiver Parteien trägt Früchte. Noch sind es vorwiegend links-grüne Parteien, die gleichviel Frauen wie Männer aufstellen, aber das sollte die anderen Parteien eigentlich nur ermuntern: Hey, das schaffen wir auch!
Welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden, damit Frauen vermehrt für ein politisches Amt kandidieren würden?
Zu guter Letzt muss einmal mehr über die Arbeitsverteilung geredet werden. Wenn die politische Arbeit gerechter verteilt werden soll, muss auch die unbezahlte Hausarbeit, die Familienarbeit, die unbezahlte Betreuungsarbeit gerechter verteilt werden. Ich kann nicht in den Grossen Rat, den Haushalt schmeissen, meinen Kindern und den Kranken in der Familie schauen und gleichzeitig noch Karriere im Betrieb machen.
Was hat Sie persönlich bewogen, in die Politik zu gehen?
Mich persönlich interessiert die Möglichkeit, das öffentliche Leben zu gestalten. Darum habe ich auch schon für den Grossen Rat und für den Nationalrat kandidiert und war letzten Herbst für zwei Tage Mitglied der Frauensession in Bern. Für den Malanser Gemeinderat habe ich kandidiert, weil mir Diversität im Gemeinderat wichtig scheint: Er soll die Bevölkerung widerspiegeln, und darum Jung und Alt, Links bis Rechts und eben alle Geschlechter vertreten.