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Conters
05.02.2022
06.02.2022 12:59 Uhr

Andres Däscher-Boner feiert seinen 102. Geburtstag

Andres Däscher hat gut lachen. Auch als 102-Jähriger geniesst er das Leben.
Andres Däscher hat gut lachen. Auch als 102-Jähriger geniesst er das Leben. Bild: zVg
Am 3. Februar, wurde Andres Däscher als ältester Prätttigauer 102-jährig. Und dies bei sehr guter geistiger und körperlicher Gesundheit, wie man so zu sagen pflegt. Doch was heisst das konkret? Bei einem Besuch im Alters- und Pflegeheim Talbach in Klosters genossen wir das Privileg, mit dem lebenserfahrenen Senior ein interessantes Gespräch zu führen.

Als wir das Zimmer von Andres Däscher betreten, ist er gerade dabei, seine dunkelgrünen Hosenträger zu montieren. Er hat für den angekündigten Besuch extra die schönen dunkelbraunen Manchesterhosen angezogen. «Meine Tochter Elisa hat ausdrücklich gesagt, ich dürfe den Besuch nicht in den Trainerhosen empfangen», bemerkt er mit einem verschmitzten Lächeln. Der Blick aus dem Fenster seines hellen Eckzimmers bietet eine prächtige Aussicht auf die Silvrettagruppe mit all ihren imposanten Berggipfeln. Die winterlichen Berge rund um Klosters waren für Andres während langer, langer Zeit fast wie seine gute Stube. Ganze 44 Winter (1954 bis 1998) war er als Skilehrer für die Skischule Klosters tätig. «Ich bin während 87 Jahren meines Lebens Ski gefahren. Letztmals als 93-Jähriger», sagt er mit berechtigtem Stolz. Wahrscheinlich ist er mit dieser Leistung weltweit ziemlich rekordverdächtig! Nach wie vor verfolgt der Sportbegeisterte regelmässig die Weltcup-Rennen am Fernseher. Wer gefällt ihm am besten? Lange muss er nicht überlegen: «Wie Marco Odermatt fährt, ist mehr als überzeugend», windet der dem überragenden Nidwaldner ein Kränzchen. Auch für die Tennisturniere auf Weltklasse-Niveau interessiert Andres seit langem. Schon fast logisch, dass Roger Federer seine Nummer 1 ist.

2021 nach Klosters

Im Kosterser Altersheim Talbach wohnt Andres – geboren 1920 in Conters – noch nicht lange. Im August 2021 hat er seine Wohnung in Saas aufgegeben und ist ins Heim umgezogen. «Es fehlt mir hier an nichts, ich bin zufrieden.» Dass es eine gewisse Zeit brauchte, um sich umzustellen, gibt er unumwunden zu. Bis zuletzt hatte er in Saas den Haushalt praktisch alleine geführt; das Kochen war ihm wichtig. «Am meisten vermisste ich meine selbst gemachten Hennenbeine», gesteht der Liebhaber von gebratenem Fleisch. Klosters brachte ihn geografisch wieder in die Nähe seiner Kindheits- und Jugendjahre. Denn seine Eltern bewirtschafteten während rund 30 Jahren – von 1920 bis 1950 – ein Bauerngut auf der Totalp oberhalb von Davos-Laret. «Mein Vater, geboren im Jahre 1880, war ein strenger aber rechtschaffener Mann. Wir waren es von klein auf gewohnt, auf dem Hof anzupacken. Die Arbeit ging uns nie aus.» Mutter Maria Elisa, eine 1883 geborene Möhr aus Maienfeld, hatte eine weichere Seite. So wuchs klein Andres mit zwei Schwestern und zwei Brüdern auf. Die achtjährige Schulzeit absolvierte er in der Gesamtschule im sogenannten Unterlaret neben der Kapelle.

Hobelbank statt Küche

«Nach der Schulzeit interessierte ich mich für eine Koch- oder Schreinerlehre.» Obwohl er schon als Bub gerne kochte, entschied er sich 1936 schliesslich für die Hobelbank. «Da ich das Draussensein als Hüterbub gewohnt war, hatte mein Vater Bedenken, ob ich die Hitze in den Küchen über lange Zeit aushalten würde.» Sein Vater wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutete, im Gastbewerbe sein Geld zu verdienen. War er doch in jungen Jahren international unterwegs. Als Kellner und Koch war er in den USA, England, Frankreich und Italien tätig. Und stets von Heimweh geplagt. «Vater war dagegen, dass wir Kinder ins Ausland gingen. Er wollte uns hier haben.» An seine Lehre hat Andres gute Erinnerungen. «Wir waren vier oder fünf Lehrbuben. Als Stifte arbeiteten wir vom ersten Tag an an der Hobelbank. Aus dicken Brettern machten wir Möbel aller Art: Hocker, Tische, Kommoden, Kästen. Und alles von Hand!» Streng aber korrekt sei sein Lehrmeister Hans Kocher-Ambühl gewesen. Ausser Kost und Logis gab es keinen Lohn. Im Gegenteil: «Mein Vater musste für die dreieinhalbjährige Ausbildung 750 Franken aufbringen.» Nach der Lehre betrug der Stundenlohn zwischen 95 Rappen und 1.05 Franken. Das waren noch Zeiten.

RS im Welschland

Der Zweite Weltkrieg war bereits ausgebrochen als der Jungschreiner 1940 in die Rekrutenschule in der Nähe von St. Maurice im Unterwallis einrückte. Bei der Festungstruppe eingeteilt, kam ihm seine Ausbildung zugute: «Ich fasste den Auftrag, im Hotel der Offiziere spezielle bauliche Anpassungen vorzunehmen. Schreinerarbeit war also gefragt. Dass Andres selbstständiges Planen und Umsetzten von Vorgaben weit mehr behagte, als der eher monotone Rekrutendrill, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden. Während des Krieges leisteten viele Soldaten unzählige Diensttage im Aktivdienst. Andres erinnert sich an die Zeit in Flims. Dort erhielt er den Auftrag, Kantonnemente (Truppenunterkünfte) einzurichten. «Während eines ganzen Monats arbeitete ich als Chef mit meinen sechs Soldaten daran, eine schöne Zeit.» Obwohl er insgesamt fast ein Jahr Militärdienst leistete, hat er diese Zeit mit allen Entbehrungen in guter Erinnerung. Nach dem Krieg hat er in Klosters Dorf als Angestellter unter anderem praktisch alleine zwei Häuser um- und ausgebaut. «Wenn ich dies selbstständig zu bewerkstelligen vermag – habe ich mir gedacht – kann ich doch ebensogut auf eigene Rechnung arbeiten.» So erfolgte im Jahre 1950 die Gründung der eigenen Firma. Ein paar Jahre zuvor hatte er seine Frau Margreth kennengelernt. «Sie, ausgebildete Schneiderin und Weissnäherin – tüchtig und anständig – war sie als Nählehrerin tätig. Gritli und ich haben uns behutsam kennengelernt.» Geheiratet haben sie schliesslich im Juni 1949. Gut ein Jahr später kam die älteste Tochter Ursi zur Welt, Ende 1952 ihre Schwester Elisa, Bruder Andres wurde 1954 geboren. Der zweite Sohn der insgesamt sechs Geschwister, Ruedi mit Jahrgang 1956, verstarb bereits im Alter von sechs Jahren an Leukämie. Ein erster harter Schicksalsschlag für Familie Däscher, der seine Spuren hinterlassen sollte. Der jüngste Sohn Christian erblickte das Licht der Welt 1960. Nachzüglerin Margrith folgte 1970.

Ehefrau stirbt bei Hausbrand

Einen zweiten brutalen Schicksalsschlag traf Familie Däscher 2008. In Däschers Haus in Saas brach am 27. Dezember ein Brand aus, bei dem die damals 82-jährige Margreth in Folge einer Rauchgasvergiftung verstarb. Wie ist Andres mit diesen Tiefschlägen umgegangen? «In jungen Jahren war ich nicht besonders religiös oder gläubig.» Als sein Sohn Ruedi 1962 als Sechsjähriger sterben musste, habe sich das geändert. «Als Eltern ein Kind gehenlassen zu müssen ist unbeschreiblich schmerzhaft.» Er habe sich damals intensiv mit den grossen Fragen des Lebens auseinandersetzen müssen und so zum Glauben gefunden. «Vieles in unserer Lebenseinstellung hat sich durch Ruedis Tod verändert. Auch beim Unfalltod meiner Frau war mir der Glaube eine grosse Hilfe.» Was ist sein «Geheimnis» für ein langes Leben? «Das Wichtigste ist die Gesundheit. Ich habe versucht solide zu leben, massvoll zu geniessen in allen Bereichen. Auch beim Alkohol. Es braucht ausserdem Glück, dass man gesund bleibt. Wichtig ist zudem die Arbeit, dass man ehrlich und engagiert ans Werk geht. Gute Arbeit macht einen nicht nur müde, sondern auch zufrieden.» Während Andres über Jahrzehnte im Sommer seinem Handwerk nachging, hat er im Winter, wie bereits erwähnt, jeweils als Skilehrer gearbeitet. Wer gut unterrichten will, muss bekanntlich Menschen gerne haben. Solange seine Eltern auf der Totalp den Bauernbetrieb führten, half er bei jeder Gelegenheit aus, ob beim Heuen, im Stall oder wo Not am Mann herrschte. Daher kommt wahrscheinlich seine Tierliebe. So hat er im Seniorenalter mit grosser Hingabe und Freude viel Zeit mit seinen Tieren, seinem Esel Peppi und seinen Schafen verbracht. Auch als 102-Jähriger sprüht Andres vor Energie und guter Laune. Unser fast zweistündiges Gespräch scheint wie im Nu vorüber. Und noch so manche Episode aus seinem langen Leben, hätte er auf Lager. Vielleicht kommen ja an seinem morgigen Geburtstag die Gratulantinnen und Gratulanten in deren Genuss. Ein «Geheimrezept» um gesund alt zu werden, hat Anders zu guter Letzt noch preisgegeben: «Er dreht sich zum Regal hinter seinem Lehnstuhl und greift zur Flasche: «Das ist mein Kernobst-Trester. Jeden Abend genehmige ich mir ein Schnäpschen. Aber nur eines!»

Ernesto Felix