Als wir das Zimmer von Andres Däscher betreten, ist er gerade dabei, seine dunkelgrünen Hosenträger zu montieren. Er hat für den angekündigten Besuch extra die schönen dunkelbraunen Manchesterhosen angezogen. «Meine Tochter Elisa hat ausdrücklich gesagt, ich dürfe den Besuch nicht in den Trainerhosen empfangen», bemerkt er mit einem verschmitzten Lächeln. Der Blick aus dem Fenster seines hellen Eckzimmers bietet eine prächtige Aussicht auf die Silvrettagruppe mit all ihren imposanten Berggipfeln. Die winterlichen Berge rund um Klosters waren für Andres während langer, langer Zeit fast wie seine gute Stube. Ganze 44 Winter (1954 bis 1998) war er als Skilehrer für die Skischule Klosters tätig. «Ich bin während 87 Jahren meines Lebens Ski gefahren. Letztmals als 93-Jähriger», sagt er mit berechtigtem Stolz. Wahrscheinlich ist er mit dieser Leistung weltweit ziemlich rekordverdächtig! Nach wie vor verfolgt der Sportbegeisterte regelmässig die Weltcup-Rennen am Fernseher. Wer gefällt ihm am besten? Lange muss er nicht überlegen: «Wie Marco Odermatt fährt, ist mehr als überzeugend», windet der dem überragenden Nidwaldner ein Kränzchen. Auch für die Tennisturniere auf Weltklasse-Niveau interessiert Andres seit langem. Schon fast logisch, dass Roger Federer seine Nummer 1 ist.
2021 nach Klosters
Im Kosterser Altersheim Talbach wohnt Andres – geboren 1920 in Conters – noch nicht lange. Im August 2021 hat er seine Wohnung in Saas aufgegeben und ist ins Heim umgezogen. «Es fehlt mir hier an nichts, ich bin zufrieden.» Dass es eine gewisse Zeit brauchte, um sich umzustellen, gibt er unumwunden zu. Bis zuletzt hatte er in Saas den Haushalt praktisch alleine geführt; das Kochen war ihm wichtig. «Am meisten vermisste ich meine selbst gemachten Hennenbeine», gesteht der Liebhaber von gebratenem Fleisch. Klosters brachte ihn geografisch wieder in die Nähe seiner Kindheits- und Jugendjahre. Denn seine Eltern bewirtschafteten während rund 30 Jahren – von 1920 bis 1950 – ein Bauerngut auf der Totalp oberhalb von Davos-Laret. «Mein Vater, geboren im Jahre 1880, war ein strenger aber rechtschaffener Mann. Wir waren es von klein auf gewohnt, auf dem Hof anzupacken. Die Arbeit ging uns nie aus.» Mutter Maria Elisa, eine 1883 geborene Möhr aus Maienfeld, hatte eine weichere Seite. So wuchs klein Andres mit zwei Schwestern und zwei Brüdern auf. Die achtjährige Schulzeit absolvierte er in der Gesamtschule im sogenannten Unterlaret neben der Kapelle.
Hobelbank statt Küche
«Nach der Schulzeit interessierte ich mich für eine Koch- oder Schreinerlehre.» Obwohl er schon als Bub gerne kochte, entschied er sich 1936 schliesslich für die Hobelbank. «Da ich das Draussensein als Hüterbub gewohnt war, hatte mein Vater Bedenken, ob ich die Hitze in den Küchen über lange Zeit aushalten würde.» Sein Vater wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutete, im Gastbewerbe sein Geld zu verdienen. War er doch in jungen Jahren international unterwegs. Als Kellner und Koch war er in den USA, England, Frankreich und Italien tätig. Und stets von Heimweh geplagt. «Vater war dagegen, dass wir Kinder ins Ausland gingen. Er wollte uns hier haben.» An seine Lehre hat Andres gute Erinnerungen. «Wir waren vier oder fünf Lehrbuben. Als Stifte arbeiteten wir vom ersten Tag an an der Hobelbank. Aus dicken Brettern machten wir Möbel aller Art: Hocker, Tische, Kommoden, Kästen. Und alles von Hand!» Streng aber korrekt sei sein Lehrmeister Hans Kocher-Ambühl gewesen. Ausser Kost und Logis gab es keinen Lohn. Im Gegenteil: «Mein Vater musste für die dreieinhalbjährige Ausbildung 750 Franken aufbringen.» Nach der Lehre betrug der Stundenlohn zwischen 95 Rappen und 1.05 Franken. Das waren noch Zeiten.