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Hannes Davatz, der Letzte, der noch ausfüttert

​Ursi und Hannes Davatz vor der Hütte, dem Zuhause von Hannes während der Wintermonate.
​Ursi und Hannes Davatz vor der Hütte, dem Zuhause von Hannes während der Wintermonate. Bild: E. Hartmann
Das Ausfüttern in den Maiensässen ist wohl eine Tradition, die bald verloren geht. Hannes Davatz ist noch der Letzte, der auf den Huoben, oberhalb Fanas, das Jungvieh bis in den Januar ausfüttert.

Viele kennen das gar nicht mehr, das Ausfüttern auf dem Maiensäss. Doch früher war dies eine Notwendigkeit. Man konnte das Bergheu nicht wie heute mit den Transportern ins Dorf führen, und schon gar nicht den Mist wieder hoch. Das Heu wurde vor Ort auf dem Maiensäss eingelegt. Somit sparte man sich den langen Weg ins Dorf, und auch die Zeit, die es gekostet hätte. Und so blieben die Bauern mit ihren Tieren oben, bis das Heu zur Neige ging. Der Mist war somit oben, wo er gebraucht wurde. Seit über 10 Jahren harrt Hannes Davatz als letzter Futterknecht auf den Huoben aus. Das war früher ganz anders. Hier oben am Berg stand in zahlreichen Ställen Vieh um die Weihnachtszeit. Überall brannte frühmorgens das Licht in den Hütten. Man hatte noch kein Telefon, dafür echten sozialen Kontakt. Jeden Freitagnachmittag traf man sich im Bergrestaurant Sassauna. Man war füreinander da und schaute sich um, ob der Kamin raucht, oder Licht in der Hütte brennt. So geschah einmal, dass sich bei einem Bauer über zwei Tage nichts regte. Daraufhin machten sich zwei der damals etlichen Futterknechte auf, um nach ihm zu sehen. Aufgefunden haben sie ihn dann gekrümmt vor Schmerz im Boorbett, im Stall. Eine Lungenentzündung hatte ihn ausser Gefecht gesetzt.

Die frühe Verantwortung

Hannes war gerade mal 24 Jahre alt, als er die zwei Jahre jüngere Ursula Däscher im Jahr 1978 heiratete. Und bereits im Folgejahr kam Sohn Thomas zur Welt, und sie übernahmen den landwirtschaftlichen Betrieb von Hannes Eltern. Damals war es noch üblich, dass die Bauern von Fanas ihr Vieh auf den Huoben ausfütterten. In all den Jahren kam es ein einziges Mal vor, dass auch die Familie Davatz das Heu mit den Heuschlitten ins Dorf führen musste. Da der Herbst derart trocken war, hatte es nicht genügend Wasser, und dies zwang sie zu diesem Entscheid. Doch mit ein, zwei Schlitten war noch längst nicht alles Heu unten, und so mussten sie mit den Schlitten immer wieder hoch auf die Huoba. Im Jahre 1949 wurde die Luftseilbahn Eggli erbaut. Damals für die Bewirtschaftung der Bergwiesen und für die Landwirte. Mit ihr kamen die Heuschlitten wieder auf 1700 Meter über Meer. Anfänglich war es eine Holzkiste, in der vier Personen hintereinander sassen, später dann eine Blechkiste, in welcher sogar Kälber transportiert wurden. Heute bringen die beiden Gondeln mehrheitlich Touristen auf den Berg.

Die richtige Frau an seiner Seite

Bis ins Jahr 2003 fütterten die Eltern von Hannes dessen Jungvieh auf den Huoben aus. Danach übernahm er diese Aufgabe selbst. Nach der Versorgung der Milchkühe auf dem Heimbetrieb ging es dann mit der Seilbahn hoch und den rund einen Kilometer langen Fussmarsch zum Maiensäss. Immer dabei unterstützt wurde er von seiner Frau Ursi, die nicht nur ihre drei Kinder aufzog, sie unterstützte Hannes in der Landwirtschaft überall, wo sie konnte. Und heute noch ist er sehr dankbar dafür, sie an seiner Seite zu haben. Es war nicht immer einfach, aber zusammen haben sie alles gemeistert. Wenn Hannes nun ein paar Monate auf den Huoben zuhause ist, geniesst er die Tage, an denen Ursi ihn besucht. Nicht nur, aber sicherlich auch, weil Ursi sich so um ihren Mann kümmert – wie Hannes sich um die Tiere. Die Stube ist warm, wenn er vom Füttern zurückkommt, das Frühstück steht bereit, alles kleine Sachen, die er sehr schätzt, wenn man so viel Zeit allein verbringt. Etwas, was Hannes ebenfalls sehr geniesst, ist das Gasthaus Sassauna. Dann, wenn er mehrere Tage allein ist, ist das eine willkommene Abwechslung, und ein guter Spaziergang zugleich. Etwas, das ihn auch immer wieder erfreut, ist es, wenn er am Dienstag im Wunschkonzert von Radio Grischa Grüsse übermittelt bekommt. Anfänglich musste Ursi dem Moderator noch erklären, was ihr Mann da oben so allein genau tut, inzwischen weiss auch dieser, was «Ausfüttern» bedeutet.

​Auf dem Maiensäss auf den Huoben füttert Hannes das Jungvieh bis in den Januar. Bild: E. Hartmann

Verwöhntes Rindvieh

An der Wand im «Stübli» hängen drei Fotos nebeneinander. Sie zeigen drei Generationen der Familie Davatz, welche auf den Huoben ausgefüttert haben. Auf dem ersten Foto sind die Grosseltern von Hannes zu sehen, auf dem zweiten Foto seine Eltern und auf dem dritten Foto lachen Hannes und Ursi in die Kamera. Sie werden wohl die Letzten sein. Dass ihr Sohn Thomas dies weiterführen wird, ist eher unwahrscheinlich. Seit ihr Thomas 2008 den Betrieb übernommen hat, bleibt Hannes die ganze Zeit des Ausfütterns oben und geniesst die Zeit auf dem Maiensäss. Die Ruhe und das Zusammensein mit den Tieren. Die Aussicht ist grandios, mit Blick ins Tal, wo die Touristen aus dem Unterland in einer langen Lichterschlange sich wieder auf den Weg nach Hause machen. Der Nebel, der sich über Landquart legt, und die Sonne die hinter dem Calanda untergeht. In der kürzesten Zeit zeigt sich die Sonne vom morgen um 8.30 Uhr bis am Abend um 16.15 Uhr. Eine wahre Sonnenstube, doch wenn das Wetter dreht, kann es richtig rau auf den Huoben werden. Das Vieh im Stall muss dies allerdings nicht ersorgen, es wird gut versorgt, ja sogar ein bisschen verwöhnt. Obwohl alle der zwölf Tiere ein Glöckli um den Hals tragen, hört man im Stallhof nichts von ihnen. Beim Blick in den Stall findet man allesamt liegend vor, genüsslich am Wiederkäuen. Ihre innere Uhr tickt so genau wie jene von Hannes. Wenige Minuten bevor er den Stall betritt, stehen sie auf und strecken sich. Erst der gelbe Kessel mit dem Graswürfel bringt sie ein wenig aus der Ruhe. Doch sie kennen den Ablauf. Die paarweise in den Unterschlachten stehenden Jungtiere stehen weit auseinander, so dass Hannes gut zum Barmen kommt. Das Fell der Tiere glänzt und ist seidenfein, kein Wunder, werden sie auch täglich gestriegelt. Und wenn sie vom Tränken zurückkommen, wissen sie genau, dass eine Portion auf dem Ofen getrocknetes Brot auf sie wartet. Die Luft auf den Huoben muss besonders gut sein, denn der letzte Tierarztbesuch liegt schon sehr weit zurück. Damals als noch der Grossvater von Hannes ausfütterte. Nur das eine Mal, als eines der Tiere nicht mehr richtig fressen wollte und mit Aufstehen Mühe hatte, wurde diese mit dem Hubschrauber nach Fanas geflogen.

Wo sich Fuchs und Knecht guten Morgen sagen

Als Hannes eines Morgens wie gewohnt den Stall betrat, traute er seinen Augen nicht. Da schlief ein Fuchs in der «Heurüschel». Keiner weiss damals, wer mehr erschrocken ist, doch das Tier sprang heraus und verkroch sich unter dem Boorbett. Obwohl Hannes den Stall verliess, damit der Fuchs weichen konnte, blieb dieser im Stall. So fing er an, ihn zu füttern, und liess den kleinen Besucher da, wo er sich versteckte. Als Hannes dann zum Frühstück in die Hütte zurückging, liess er die Stalltüre offen, so dass der Fuchs ungestört fliehen konnte. Ob es wirklich derselbe ist, weiss Hannes nicht sicher, aber einer besucht ihn immer noch regelmässig, aber nur vor dem Stall. Denn so gut geschlafen wie damals im warmen Stall auf dem weichen Heu hat der Fuchs wohl nie mehr.

Ein Tagebuch für die Ewigkeit

Hannes führt auf den Huoben ein Tagebuch, in dem er die Ereignisse festhält, so auch die unzähligen Stunden, welche er mit Schneeschaufeln verbracht hat, um den Tieren den Weg zu zeigen, welcher auch schon mal mit mannshohen Schneemauern gesäumt war, so dass man dachte, das keines der Tiere den Weg verlassen könnte. Aber sogar dies schaffte einst ein Tier mit einem Sprung hinaus in den tiefen Schnee. In Hannes Tagebuch ist auch der Wetterverlauf oder die Besucher, welche den Weg zu seiner Hütte unter die Füsse genommen hatten.

Bereitwillig macht das Vieh Platz, damit der Futterknecht auch gut zum Barmen kommt.. Bild: E. Hartmann

Viehstellen: eine Herausforderung für sich

Wenn der Heustock allmählich kleiner wird, muss frühzeitig der Abtrieb der Tiere geplant werden. Es hängen viele Faktoren davon ab, wann er stattfinden kann. In erster Linie muss das Wetter mitspielen, lieber viel als kein Schnee und dann ist da noch die Gefahr der Lawine auf dem Teilstück vom Maiensäss bis zum Eggli. Heute läuft Hannes nicht mehr mit. Thomas organisiert genügend Treiber, für welche dies immer ein Höhepunkt ist. Lieber genügend Leute haben, denn man weiss nie, was einen erwartet auf dem Weg ins Dorf. In der Zeit, an die sich Hannes erinnern kann, ist es nie vorgekommen, dass sich ein Tier je ernsthaft verletzt hat. Obwohl sie einmal mit dem Schlimmsten gerechnet hatten. Da kam eines der Tiere neben die Spur und rutschte hinab in das Tobel. Sie glaubten nicht an ein gutes Ende dieser Rutschpartie und trieben den Rest der Herde weiter talwärts. Doch da hörte Hannes den feinen Klang einer einzelnen Schelle. Das Tier hatte die Schellen ihrer Stallgefährten gehört und sich auf einem schmalen Weg zurück zur Herde begeben. Ausser ein paar Schürfwunden blieb das Tier wie durch ein Wunder unversehrt.

Er wird der Letzte sein

Solange Hannes körperlich und geistig fit genug ist, wird er weiterhin das Jungvieh auf den Huoben ausfüttern. Das Jungvieh wechselt jeweils nach der Alpzeit nur die Zaunseite, um während rund eines Monats noch die Bergweiden abzugrasen. Und sobald der Raureif Einzug nimmt, wechseln sie dann in die Stallungen. Doch wenn Hannes irgendwann seinen Stallkittel an den Nagel hängt, geht eine Ära zu Ende. Dann wird wohl niemand mehr auf dem Fanaserberg Heu einlegen und in den Wintermonaten ausfüttern. Bis es jedoch soweit ist, wird Hannes der Letzte sein, der diese alte Tradition noch lebt.

Das Viehstellen vom Maiensäss ins Dorf: immer ein spezielles Ereignis. Bild: E. Hartmann
Heute überlässt Hannes das Runtertreiben den Jüngeren, Sohn Thomas organisiert im Voraus genügend Helfer. Bild: E. Hartmann
Erica Hartmann/fix