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Seewis
19.01.2025
20.01.2025 13:27 Uhr

Besonders und in Bewegung

Kurt Kuster, der Umtriebige.
Kurt Kuster, der Umtriebige. Bild: P. Müller
Die Gemeinde am Hang über dem Taleingang und ihre Bewohner:innen haben im Tal den Ruf, etwas anders zu sein als die übrigen Leute im Prättigau. Was dies auf sich hat, ob dies wirklich so ist und wie sich dies zeigt, war auch Thema im Gespräch mit dem Gemeindepräsidenten Kurt Kuster.

Gleich vorneweg, im Gespräch mit Kurt Kuster war nichts von dieser Eigenart zu spüren, wobei er gleich anmerkte, dass er kein «Ur-Seewiser» sei. Aber wahrscheinlich habe es schon etwas an sich – davon aber später.

Der unverhoffte Schritt und besondere Erlebnisse

Eigentlich stellte sich Kurt Kuster vor, seine Freizeit im Ruhestand etwas breiter zu gestalten. Der passionierte Gleitschirmflieger nahm sich vor, vermehrt mit dem Motorrad unterwegs zu sein, um dann in neuen Gefilden, durch die Lüfte gleitend, Neues aus der Luft zu entdecken.

Nach neun Jahren als Präsident der Baukommission suchte er zwar schon eine neue Aufgabe. So liebäugelte er mit einer Position im Gemeindevorstand und tat dies auch kund. Aufgrund der aktuellen Situation wurde er angefragt, ob er nicht das Gemeindepräsidium übernehmen würde, was schliesslich zu seinem Entschluss für die Kandidatur für dieses Amt führte. Zusammen mit den weiteren Vorstandsmitgliedern will er etwas in der Gemeinde bewegen und bewirken und dadurch die Zukunft von Seewis aktiv mitgestalten und prägen.

Bereits in seiner kurzen Zeit im neuen Amt erlebte er verschiedene besondere Begegnungen, und er verweist mit berechtigtem Stolz auf einige Besonderheiten. So bleibt ihm der Besuch von Bundesrat Beat Jans in «seiner» Gemeinde positiv in Erinnerung – Bundesräte reisen ja eher selten ins Prättigau. Zudem waren die verschiedenen Veranstaltungen anlässlich des 400-Jahr-Jubiläums rund um Fidelis von Sigmaringen, mit der abschliessenden Einweihung des neuen Brunnens und der Buchvernissage «Täler in Flammen», etwas Besonderes für Seewis. Nicht mehr wegzudenken und hoffentlich noch viele Jahre aktuell ist das jeweilige Alpspektakel im Herbst; es ist das grösste jährlich stattfindende Fest im Prättigau und wurde 2024 gar von einer niederländischen Filmequipe begleitet.

Die Gemeinde in Bewegung

Wie viele andere Bündner Gemeinden muss sich auch Seewis nach der Decke strecken. Den eher sinkenden Steuereinnahmen stehen kontinuierlich steigende Kosten im Bildungs- und Sozialbereich entgegen. Zudem besteht ein grosser Investitionsbedarf im Infrastrukturbereich. Kurt denkt hier insbesondere an die Sanierung der Wasserversorgung.

Dass die Gemeinde in Bewegung ist, zeigt sich auch im übertragenen und geologisch bedingten Sinn. Kurt meint dazu: «Der Berg rutscht», und dies ist deutlich an den vielen Verwerfungen der Kantonsstrasse abzulesen. Das Gebiet «Gügli» am Vilan hat sich stärker bewegt als erwartet, und aufgrund der jüngsten Hangbewegungen wird davon ausgegangen, dass eine Felspartie früher oder später abstürzen könnte. Zudem musste infolge erhöhter Steinschlaggefahr ein Wanderweg bis auf Weiteres gesperrt werden. Der Hang wird durch Geologen mit permanenten Messungen überwacht.

Das kleine Manhattan im Prättigau

Vor gut 120 Jahren brannte ein Grossteil des Dorfes Seewis ab. Noch heute ist dies ein wichtiger Teil in der Geschichte des Orts und ist in der Gemeinde nicht vergessen.
Nach dem Brand wurden die neuen Häuser mit Fundamenten in Massivbauweise errichtet, um die Brandgefahr zu minimieren. Zudem wurden mit der eigenen Hofraum- und Gartenzone örtliche Bedingungen geschaffen, um ein solches Ereignis verhindern zu können. Die neue Strassenstruktur ähnelt etwas dem um ein Vielfaches grösseren Manhattan, weshalb es oft mit dem grossen Bruder in Amerika verglichen wird. Aufgrund dieser Begebenheiten wurde die Kernzone ins Inventar der schützenswerten Ortsbilder von nationaler Bedeutung der Schweiz aufgenommen. Dies allerdings erschwert nun entsprechende Bauvorhaben in dieser Zone, was den heutigen Bedürfnissen oft zuwiderläuft. Die Hilfsbereitschaft und die Solidarität nach dem Brand wurden den Seewiser:innen vererbt und sind bis heute spürbar.

Seewis, etwas anders

Nicht nur die lange Geschichte, auch die besondere Lage macht den Unterschied, dass dieser Ort und seine Bewohnenden etwas anders sind. So war die Gemeinde oft im Fokus anlässlich der Bündner Wirren. Möglicherweise aufgrund der geografischen Lage, dem Gebiet, in welchem noch am längsten Romanisch gesprochen wurde und welches am Eingang des Tals hoch oben am Berg liegt, ist diese Eigenart der Leute etwas anders. Darin begründet sich wohl auch die Tatsache, dass die heutige Mundart viele Ausdrücke enthält, welche nur in Seewis gesprochen werden. Viel mehr jedenfalls, als dass sich solche Ausdrücke in den übrigen Ortschaften des Tals erhalten.

Seewis ist ein Luftkurort, was dem Standort der Reha-Klinik, einem wichtigen Unternehmen und Arbeitgeber in der Gemeinde, zum Vorteil gereicht. In früheren Zeiten machten die Kurgäste zunächst hier Halt zur Akklimatisation, bevor sie nach Davos zur Höhenkur weiterreisten.

Allerdings, meint der Gemeindepräsident: «Dass eine besondere Stellung auch zu einer Art Isolation führen kann, was vor 100 Jahren sicher noch ein Thema war – heute jedoch nicht mehr.» Zudem sei er bestrebt, dass die verschiedenen Fraktionen der Gemeinde eine Einheit bilden und das Gemeinsame in den Vordergrund gestellt wird.

Möglicherweise und mit einem Augenzwinkern ist im Zusammenhang mit den Besonderheiten dieser Gemeinde der Slogan zu verstehen: «Einmal im Leben Seewis erleben!»
Und noch etwas – in Anlehnung an das Profilbild mit Kurt Kuster, in Seewis existiert tatsächlich ein kleiner, privater Rebberg, welcher jährlich wohl einige Flaschen einheimischen Wein abwirft!

Seewis mit Blick nach vorne

Im Hinblick auf die bereits oben erwähnten künftigen Aufgaben bilden sich auf der Stirn Kusters einige Sorgenfalten, dies nicht zuletzt, wenn er an die Parkplatzproblematik im geschützten Dorfkern denkt. Zudem sind die Herausforderungen bei der Digitalisierung zu meistern, wobei Baugesuche bereits jetzt schon über die entsprechende Plattform eingereicht werden können.
Für Kuster geniesst der Erhalt der einheimischen Betriebe wie Restaurants, Post, Lebensmittelgeschäfte, Bazar und Kleinbetriebe eine hohe Priorität. Dazu sagt er mit Nachdruck: «Wir möchten kein Schlafdorf werden.»

Er wünscht sich zufriedene Bewohner und Gäste im, wie er meint, hübschesten Dorf im Prättigau. Er will, dass sich die Einwohner:innen im Dorf wohlfühlen und gerne hier leben.

Peter Müller