Brennende Scheiben und bettelnde Buben
Von: Hermann Wellesen
Gestern Sonntag war es wieder einmal soweit: Wie immer am ersten Fastensonntag nach der Fasnacht fand in Untervaz das traditionelle Scheibenschlagen (Schibaschlaha) statt. vilan24.ch stellt diesen interssanten Brauch vor.
Scheibenschlagen ist in Untervaz eine sehr alte und vor allem auch sehr interessante Tradition (bitte weiterblättern).
Dia Schiba, dia Schiba ... tönt es über Untervaz, wenn am ersten Fastensonntag altem Brauchtum nachgegangen wird. Einem alten Sonnenkult wird gefrönt, der Winter wird vertrieben. Die ledigen Männer aus Untervaz steigen auf die Ausläufer des Calanda. Bekleidet mit einer weissen Kutte, einem roten Halstuch und einer roten Mütze, die ein bis zwei Dutzend Buchenholzscheiben aufgefädelt und um die Schulter gehängt, sind sie nicht zu übersehen. In der Hand eine zwei bis drei Meter lange, biegsame Haselrute. Die jüngeren tragen eine, aus einem Besen, harzigem Kiefernholz und Holzwolle erstellte Fackel.Die kleinsten werden auf dem Weg zum Scheibenplatz von den Vätern begleitet. Für sie ist der weg den Berg herauf ein kurzer. Die älteren Buben und die jungen Männer steigen weiter den Berg herauf, denn je älter der Bube ist, um so höher am Berg liegt sein Scheibenplatz.
Sorgfältige Vorbereitungen
Die Scheibenplätze wurden schon Wochen vor dem Scheibenschlagen geräumt. Brennholz wurde zusammengetragen und trocken gelagert. Die Scheibenrampe, eine Art schräg gestellter Holzbank aus Stammstücken und einem Brett, zeigt Richtung Tal. So nüchtern die Scheibenplätze am Tage aussehen, in der Nacht des Scheibenschlagens verfehlen sie ihre mystische Wirkung nicht. Die Nacht, die Kleidung und nicht zuletzt das Feuer lassen jeden Scheibenplatz wie eine Kultstätte wirken.
Ledigen Mädchen gewidmet
Ab 17 Uhr gehen die Jüngsten mit ihren Väter zum Scheibenplatz, die Ältesten treten den Weg erst spät am Abend an. Nach einem Anmarsch zwischen 30 Minuten und über einer Stunde darf das Feuer entzündet werden. Die getrockneten Buchenscheiben werden auf das Ende der Haselruten gesteckt und in das Feuer gehalten. Sofort entzündet sich das trockene Buchenholz. Wenn die Scheibe glüht, wird sie mit Schwung über die Rampe geschlagen. Die Funken sprühen, die Buben rufen den alten Spruch "Hoit, und dära sei si, dia Schiiba, dia Schiiba gehört, gehört, gehört der ...! Hoit und dära sei si!" Die Tradition gibt die Reihenfolge vor. Die erste Scheibe ist der alten Fasnacht gewidmet. Die zweite Scheibe der Chüachlipfanna, die dritte allen ledigen Mädchen, die vierte dem Schatz. Alle folgenden Scheiben werden bei ihrem Flug ins Tal von einem Mädchennamen begleitet. Und, zumindest in den letzten Jahren wird die letzte geschlagene Scheibe der Mutter gewidmet.
Mit Fackeln und Musik
Das Dorf versammelt sich am Platz vor der Post. Die Musikgesellschaft Untervaz hat sich eingefunden und begleitet den Fackelabzug der Jüngsten mit Blasmusik. Beim ertönen des Untervazer Liedes stimmt die versammelte Menge ein. Wie eine Kette aus leuchtenden Perlen schlängelt sich der Fackelzug ins Tal. Kurz vor dem Dorfeingang steht die Feuerwehr bereit, um die brennenden Fackeln einzusammeln und einem grossen Feuer zuzuführen.
Zum Betteln ins Dorf
Au a Schiba gschlaha, au a Chüachli ha? Diese Worte sagen die Buben, wenn sie nach dem Scheibenschlagen im Dorf zu den Häusern der Mädchen ziehen um zu betteln. Die Mädchen haben sich organisiert, um für die Buben zu backen und zu kochen. Obst liegt bereit. Die Gespräche drehen sich um das Scheibenschlagen, aber auch um Schule, Kollegen und die aktuellen Songs der angesagten Bands. Verlassen die Buben das Haus der Mädchen, erhalten sie zum Abschied eine Orange oder ein Stück Kuchen.
Rauchen (ausnahmsweise) erlaubt
Die Tradition stellt es den Buben frei, am Tag des Scheibenschlagens zu rauchen. So sieht man im ganzen Dorf immer wieder Kinder und Jugendliche mit Zigaretten, Stumpen und neuerdings auch mit Pfeifen. Und die Nächte sind lang. So kommen die meisten Buben erst zwischen Mitternacht und vier Uhr in der Frühe gut genährt und mit strahlenden Augen nach Hause. Wenn dann ausgeschlafen wurde, drehen sich die Gespräche des Tages um das beim Scheibenschlagen und bei der Bewirtung erlebte.